Sozialwissenschaftliche Studie über die Auswanderungsbewegung unter den palästinensischen Christen wurde in Jerusalem präsentiert
Jerusalem, 27.4.00 (KAP) Der Trend der Christen zur Auswanderung aus der Heimat Jesu hält an. Bei einer in Jerusalem vorgestellten Umfrage bekundeten 28 Prozent der befragten Christen im Heiligen Land ihren Wunsch zur Emigration, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. Dabei lag der Prozentsatz unter den Christen in Israel bei 28, unter den Christen in den Palästinensergebieten und Ostjerusalem sogar bei 35 Prozent. Die Anfang dieses Jahres, vor dem Papstbesuch, durchgeführte qualifizierte Erhebung ist eine der umfassendsten zu dieser seit langem diskutierten Frage. "Tatsache ist: Die Leute gehen", sagte der Leiter der Studie, der Freiburger Sozialwissenschaftler Theodor Hanf, bei der Vorstellung.
Laut Studie wollen gerade die Jüngsten und die Großstädter die Region verlassen. Dies seien diejenigen, die ihre persönliche Lage in Beruf und Wirtschaft am negativsten beurteilen. Überdurchschnittlich häufig seien dabei die sehr religiös orientierten Menschen vertreten und jene, die mit ihren Kirchen zufrieden oder sehr zufrieden seien. Zwei von drei aller christlichen Palästinenser kennen laut Studie im Familien- oder Freundeskreis jemanden, der während der letzten Jahre die Region verlassen hat.
Von den rund 800.000 christlichen Palästinensern weltweit leben noch gut 120.000 im Heiligen Land, in Israel, Jordanien und den Palästinensergebieten. Die Auswanderungsbewegung setzte bereits um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ein und nahm nach den israelisch-arabischen Kriegen von 1948 und 1967 jeweils zu.
Wie aus der Studie weiter hervorgeht, fürchten zwei von drei Befragten, dass es ihren Kindern einmal nicht mehr so gut gehen wird wie noch ihnen selbst. Unter den Christen in Israel liege dieser Anteil bei 80, unter den Christen in den Palästinensergebieten und Jerusalem bei 68 Prozent. Bei der Befragung wurden zudem deutliche Unterschiede in den Grundhaltungen zwischen den Christen in Israel und in den Palästinensergebieten deutlich, die Hanf mit der Situation zwischen West- und Ostdeutschen verglich. Zwar gebe es die gleiche Sprache, den gleichen Glauben und gleiche Traditionen, aber in vielfältiger Weise unterschiedliche Einstellungen. Bemerkenswert sei auch die deutlich gewordene Distanz zu politischen Führern: 56 Prozent der Christen in Israel und 63 Prozent auf palästinensischer Seite könnten keinen einheimischen Politiker nennen, den sie wirklich bewunderten.
Rafiq Khoury, früherer Kanzler des Lateinischen Patriarchats in Jerusalem und einer der wichtigsten Theologen der katholischen Kirche im Heiligen Land, betonte, die Frage der Abwanderung hänge von der Stabilität ab. Dabei gehe es sowohl um ökonomische als auch um politische Sicherheit. Er wandte sich zugleich dagegen, die Situation der Christen im Lande Jesu nur negativ zu bewerten; es gebe auch viele spirituelle Aufbrüche.
Die von Hanf gemeinsam mit palästinensischen Soziologen erstellte Erhebung, bei der 833 Personen befragt wurden, wurde bei einem Studientag während des Heilig-Land-Besuchs von zwölf deutschen Bischöfen vorgestellt.
Kathpress