Jerusalem-Mönche leben eine neue Form monastischen Lebens mitten in den europäischen Großstädten
Paris, 10.8.00 (KAP) Der abendliche Berufsverkehr schiebt sich an der Pariser Kirche Saint-Gervais vorbei: Nach und nach betreten Männer und Frauen im weißen Gebetsmantel, ein Holzbänkchen unter dem Arm, den Chorraum der Kirche. Eine halbe Stunde verweilen sie im stillen Gebet. Städter kommen, um die Vesper und die Messe in Saint-Gervais mitzufeiern. Als die Glocken um kurz nach sechs verstummen, stehen alle auf: die 50 Ordensleute im Chor und die Menschen im Kirchenschiff, weit über hundert sind es heute.
Im Herzen von Paris, auf halbem Weg zwischen der Kathedrale Notre Dame und dem Centre Pompidou, versammelt sich in der Kirche Saint-Gervais drei Mal am Tag eine junge Ordensgemeinschaft. Jung ist sie im doppelten Sinn: Erst vor 25 Jahren wurde die "Monastische Gemeinschaft von Jerusalem" gegründet. Jung sind auch die meisten Brüder und Schwestern. Neben Paris gibt es Gemeinschaften in Blois, Straßburg, Vezelay, Florenz und bald auch in Brüssel und Istanbul. Inzwischen sind es insgesamt 130 Schwestern und Brüder aus 30 Nationen.
Anders als sonstige Ordensgemeinschaften leben die Schwestern und Brüder der Gemeinschaft von Jerusalem nicht hinter Klostermauern, sondern in Mietwohnungen mitten in der Stadt. Sie arbeiten auch in der Stadt, in ganz normalen Berufen, in Schulen, Banken und Betrieben. So fährt Schwester Samuelle gleich nach dem Morgengebet mit der Metro ins vornehme 16. Arrondissement in die Möbelrestaurationswerkstatt des Ehepaars Thevenot. Dort hängt die gelernte Kunstschreinerin ihr Ordensgewand und das Kopftuch an den Haken. Beim Hobeln und Hämmern sind Jeans und Hemd praktischer. Viele Kunden wissen gar nicht, dass die 24-Jährige eine Ordensschwester ist. Ähnlich wie bei Frere Philippe. Er arbeitet im Büroviertel La Defense in einer Bildagentur. Mit Kordhose und Pullover unterscheidet er sich kaum von den Kollegen an den Computern rechts und links. Um den Hals allerdings trägt er ein Holzkreuz am Lederband. Der 32-Jährige hält eine Klarsichthülle mit Dias gegen das Fenster. "Kuppel des Markusdoms, Venedig, Italien", tippt er in den Computer.
"Unsere erste Aufgabe ist das Gebet", sagt Soeur Edith: "Wir wollen das Gebet mit in die Stadt nehmen und die Stadt mit ins Gebet". Die 32-jährige Deutsche hat in Bonn Theologie studiert, bevor sie in die klösterliche Gemeinschaft in Paris eingetreten ist. Ihr Arbeitsplatz ist die Buchhandlung der Gemeinschaft hinter der Kirche. Theologische Bücher und Gebetbücher, Bibeln und Biografien stehen in den Regalen, daneben CDs mit geistlicher Musik.
Der Gründer der Ordensgemeinschaft, Pierre-Marie Delfieux, war zunächst Hochschulpfarrer an der Sorbonne und lebte dann zwei Jahre lang als Einsiedler in die Wüste. Zurück in Paris, gründete er 1975 die "Fraternité Monastique de Jerusalem". Am Anfang waren es fünf Brüder, bald kam die Gemeinschaft der Schwestern dazu. Schwestern und Brüder leben in zwei verschiedenen Häusern, sind finanziell und organisatorisch unabhängig voneinander. Gemeinsam ist ihnen das Gebet morgens, mittags und abends und die mittlerweile in mehr als zehn Sprachen vorliegende Ordensregel. Unter dem Titel "Im Herzen der Städte. Lebensbuch der Monastischen Gemeinschaften von Jerusalem" ist sie gerade auch auf Deutsch erschienen.
Das Interesse junger Menschen an der klösterlichen Gemeinschaft ist groß. Drei Mal im Jahr werden Einkleidungen oder Professen in Saint-Gervais gefeiert. "In unserer Gemeinschaft treffen sich die traditionellen Werte des Mönchtums und eine Offenheit der modernen Welt gegenüber", sagt Frere Pierre-Marie. "Wir leben die Gelübde - Armut, Keuschheit und Gehorsam - die Kontemplation, das Schweigen, das Gebet. Wir leben aber auch moderne Werte wie das Miteinander von Brüdern und Schwestern. Wir verreisen manchmal, leben nicht hinter hohen Klostermauern, und die Ökumene ist uns wichtig".
Kathpress