David Seeber in der «Furche»: Der Roncalli-Papst war der eigentliche Bahnbrecher der vatikanischen Ost-Politik
Wien, 1.9.00 (KAP) Das Profil eines Pontifikats ist für die Seligsprechung des betreffenden Papstes nicht entscheidend; vielmehr komme es darauf an, ob der Handelnde «exemplarischer Mensch und Christ» war, und dies treffe gerade bei Johannes XXIII. in doppelter Hinsicht zu. Das unterstrich der frühere Chefredakteur der «Herder-Korrrespondenz», David Seeber, in der österreichischen christlichen Wochenzeitung «Die Furche» zur Seligsprechung von Papst Johannes XXIII.
Das Exemplarische an Johannes XXIII. sei einerseits in seiner «unverkrampften Selbstlosigkeit» und seiner durch das Elternhaus geprägten Bescheidenheit gelegen, andererseits in seiner tiefen Spiritualität, die aus einem «Mut machenden Glauben» kam, so Seeber: «Die nicht gerade für frommen Tiefsinn bekannte 'Daily Mail' brachte es seinerzeit in einem Nachruf auf den Punkt: Johannes XXIII. habe sich in der Gegenwart Gottes so selbstverständlich und sicher bewegt wie ein Mensch in den Straßen und Gassen seiner Heimatstadt».
Das habe Johannes XXIII. die Sicherheit im Handeln gegeben bzw. «den Mut, verfestigte Zustände zu lockern, Zäune zu überspringen, Türen und Fenster zu den anderen christlichen Kirchen und zu Menschen anderen Glaubens weit zu öffnen» und «den unerwarteten Weg des Konzils zu gehen». Aus seinem Glauben heraus habe der Roncalli-Papst nicht nur «um die Würde des Menschen als Ebenbild Gottes wie um die Schwächen der Welt und die Fragilität ihres Fortschrittsglaubens» gewusst, sondern auch darum, «wie sehr die Welt das christliche Zeugnis einer in sich selbst freien Kirche braucht».
Verschiedene Päpste in den letzten hundert Jahren seien Johannes XXIII. an theologischem Sachverstand, an politischem Können, an Einsicht in die Zusammenhänge modernen Lebens und vor allem an Sendungsbewusstsein «haushoch überlegen» gewesen, erinnerte Seeber. Aber keiner von ihnen habe sich in so kurzer Zeit so tief und nachhaltig in die Herzen der Menschen und in das Geschehen seiner Zeit eingeschrieben wie der Kleinbauernsohn aus Sotto il Monte bei Bergamo. Denn was dieser Papst, der erst im hohen Alter von 77 Jahren ins höchste kirchliche Amt gewählt worden sei, in den knapp viereinhalb Jahren seines Pontifikats alles in Bewegung gesetzt habe, grenze an ein Wunder. Das Zweite Vaticanum sei dabei nur die spektakulärste, wenn auch folgenreichste Initiative seiner Regierungszeit gewesen.
Vor allem die Sozialenzykliken «Mater et magistra» und «Pacem in terris» hätten bereits viel von dem vorweggenommen, was dann das Zweite Vaticanum in «Gaudium et spes» und im Dekret über die Religionsfreiheit festgeschrieben habe, hob Seeber hervor: «Wie Johannes XXIII. in 'Mater et magistra' die katholische Soziallehre aus den Erstarrungen ihrer neuscholastischen Begrifflichkeit und Lehrhaftigkeit herausholte, wie er sie näher an das biblische Verständnis vom Menschen heranführte und sie damit zugleich erfahrungszugänglicher, argumentationsfreundlicher und praxisnäher machte, war nicht nur stilles 'aggiornamento', sondern revolutionär in Wort und Tat».
Wie aufrüttelnd und zugleich irritierend die neue Sicht kirchlicher Sozialverkündigung auf viele gewirkt habe, zeige nicht zuletzt der Widerstand gerade in solchen Ländern, wo die Katholiken ihre gesellschaftspolitischen Maximen und ihr Verbandswesen auf den alten Konzepten aufgebaut hatten. So habe der berühmt gewordene Einwurf «Mater si, magistra no» (Mutter ja, Lehrmeisterin nein) zwar sprachlich aus Italien gestammt. «Er gab aber exakt die Stimmung in deutschen Verbandszentralen nach dem Erscheinen der Enzyklika wieder», erinnerte Seeber.
Mit «Pacem in terris» habe der Papst der Welt noch mitten im Kalten Krieg eine Friedensperspektive aufgezeigt, die bis hinein in die KSZE- Konferenz von Helsinki 1975 nachgewirkt habe. Mit «sechstem Sinn» für die «Zeichen der Zeit» habe der Roncalli-Papst versucht, die Fronten auch gegenüber der damaligen kommunistischen Welt aufzubrechen. Seeber: «Er ermunterte seine Mitarbeiter und Mitbischöfe, neue Verbindungsfäden zu knüpfen, setzte auch gegen alle Hoffnung auf Kontakte, Gespräche und Verhandlungen, um dem Frieden zu dienen und den Kirchen hinter dem Eisernen Vorhang, wenn und so weit möglich, das Leben etwas zu erleichtern. Johannes XXIII. vor allem hat initiiert, was man später vatikanische Ostpolitik nannte. Gut bekannt ist noch, was der Papst zu Kardinal König sagte, als ein erster Kontakt in Richtung Ungarn versucht werden sollte, und der Kardinal fragte, wie er das machen sollte: 'Gehen Sie zum Bahnhof und kaufen Sie eine Fahrkarte'.»
Der Papst habe sich keine Illusionen über die kommunistische Ideologie gemacht, aber seine Erfahrung habe ihm gesagt, dass selbst die bleiernsten ideologischen Systeme durch die sich wandelnden Verhältnisse zu Veränderungen gezwungen würden, und «er sollte Recht behalten».
Dabei - so Seeber weiter - enthielten Roncallis Tagebücher aus den Jahren vor 1958 nur «wenige Hinweise auf das politische Zeitgeschehen». Zudem verrieten sie auch «keine großartigen Einsichten». Und selbst seine seelsorgliche Begabung habe sich erst in seiner Zeit als Patriarch von Venedig so recht entfalten können.
Kathpress