Aber es wäre klüger gewesen, die beiden Konzilspäpste nicht gleichzeitig selig zu sprechen - Kirchenhistoriker Conzemius: "Ohne Straffung unter Pius wäre Öffnung unter Johannes nicht möglich gewesen
Wien-Berlin, 5.9.00 (KAP) Für eine differenzierte Sichtweise der Seligsprechung Pius IX. hat Kardinal Franz König in einem Beitrag für die deutsche Tageszeitung "Welt am Sonntag" plädiert. Der Wiener Alterzbischof meldet zwar Bedenken an, ob es klug war, Pius IX. und Johannes XXIII. gleichzeitig selig zu sprechen. Zugleich erinnert Kardinal König aber an die Zeitumstände im 19. Jahrhundert: "Der Begriff der Religionsfreiheit, der heute von der Kirche groß verteidigt wird, war unter Pius IX. eher ein Angriff auf das Christentum. Das war die Zeit der Defensive, der Verteidigung. Heute ist Religionsfreiheit ein Menschenrechtsbegriff. Damals lautete die Definition: 'Christlicher Glaube ist zu ersetzen durch Wissenschaft', wodurch diese Verteidigungsmentalität entstand". Es sei schwer, die "Vorstellungswelt von vor mehr als 100 Jahren mit der heutigen zu vergleichen".
Kardinal König betont in dem Beitrag, man hätte die beiden Seligsprechungsverfahren "vollständig trennen müssen: Johannes XXIII. jetzt, Pius IX. später". So sei der Eindruck entstanden, als wolle die Kirche "irgendetwas ausgleichen" und "mit zwei entgegengesetzten Persönlichkeiten eine Balance erzeugen". Das sehe zu sehr nach "Strategie" aus. Andererseits sei verständlich, dass Papst Johannes Paul II. in die Arbeit der vatikanischen Kongregation für die Heilig- und Seligsprechungsverfahren nicht eingreifen wollte.
Auch der Kirchenhistoriker Victor Conzemius hat unter Bezugnahme auf Pius IX. in der "Herder-Korrespondenz" zu bedenken gegeben, dass Situation und Reaktion damaliger kirchlicher Amtsträger heute in vielen Aspekten kaum mehr verständlich seien. Doch dürfe "kirchenpolitische Korrektheit unserer Zeit" nicht zum entscheidenden Kriterium einer Seligsprechung werden. Zur gleichzeitigen Seligsprechung von Pius IX. und Johannes XXIII. verweist Conzemius darauf, der "Zentralismus" Pius IX. habe die Voraussetzung dafür gebildet, dass die katholische Kirche im ausgehenden 19. und 20. Jahrhundert "wider alles Erwarten" zu einer gesellschaftlichen Macht wurde. "Ohne diese Straffung wäre die weltweite Öffnung, die Johannes XXIII. im Zweiten Vatikanischen Konzil vollzog, nicht möglich gewesen", betont der Kirchenhistoriker.
Europäische Juden kritisch
Die jüdische Gemeinschaft in Europa hat scharf gegen die am Sonntag erfolgte Seligsprechung von Papst Pius IX. protestiert. Pius IX. werde in der Erinnerung der jüdischen Gemeinden immer der Papst bleiben, der die Juden Roms mit Gewalt ins Ghetto gezwungen habe, erklärte der Kongress Europäischer Juden (CJE) in Paris. Zudem bedauerte der Kongress die gemeinsame Seligsprechung von Pius IX. und Johannes XXIII. (1958-1963). Wenn Johannes XXIII., eine Symbolfigur der Annäherung der Kirche und des jüdischen Volkes nach dem Zweiten Weltkrieg, gemeinsam mit Pius IX. geehrt werde, der für eine antijüdisch geprägte Kirche stehe, "dann sät der Vatikan Verwirrung und Unruhe unter den Vertretern des jüdisch-christlichen Dialogs". Der CJE, dem derzeit der Franzose Henri Hajdenberg vorsteht, vertritt nach eigenen Angaben rund 2,5 Millionen Juden.
Kathpress