Ägypten will mit «Heiligen Stätten» christliche Pilger anlocken
«Kathpress»-Korrespondentenbericht aus Kairo von Johannes Schidelko
Kairo, 19.12.00 (KAP) Die Krypta steht meist unter Wasser. Seit der Assuan-Damm den Nil reguliert, ist der Grundwasserspiegel entlang des großen Stroms gestiegen. Betroffen ist auch die Kirche des Heiligen Sergius im Koptenviertel der Hauptstadt Kairo. In deren Unterräumen hat nach der Tradition die Heilige Familie bei ihrer Flucht nach Ägypten gerastet. Die alte Kirche mit ihren wertvollen Holzarbeiten ist eine der großen Touristen-Attraktionen am Nil und eine der wichtigsten Pilgerstätten der koptischen Christen. Rettungsmaßnahmen für das Gebäude und das gesamte Viertel sind im Gang. Und mit einem neuen Tourismus-Projekt will sich Ägypten nicht nur als Land der Pyramiden und Pharaonen empfehlen, sondern als «Land der Heiligen Familie» verstärkt auch christliche Pilger anlocken.
Tourismus-Minister Mamdouh El-Beltagui präsentiert Ägypten erneut als Land der Toleranz und des Dialogs zwischen Menschen, Kulturen und Religionen: Hier hat der Pharao Echnaton vor 3.400 Jahren zuerst den Ein-Gott-Glauben verkündet, Moses und Jesus lebten hier und der Islam hat sich ausgeweitet. Wichtiges Element dieses Erbes sind die Heilige Familie und die vielen Gedenkstätten, die im ganzen Land an deren Aufenthalt erinnern. Unter Schirmherrschaft von Präsident Hosni Mubarak will Ägypten dieses Erbe sichern und touristisch erschließen.
Über den Aufenthalt der Heiligen Familie in Ägypten gibt sich die Bibel knapp: Josef sei auf Geheiß eines Engels mit Jesus und dessen Mutter Maria nach Ägypten geflohen, und so dem Kindermord unter König Herodes entgangen. Die koptische Kirche kennt dagegen eine unerschöpfliche Fülle von Traditionen über die Heilige Familie. Um deren Reiseroute sowie die Wohn- und Fluchtorte ranken sich viele Erzählungen, Berichten und Legenden.
Dreieinhalb Jahre dauerte nach koptischer Tradition dieser Ägypten-Aufenthalt. Von Bethlehem über das Jordantal und nach Hebron soll die Familie Jesu vorbei an Gaza auf der üblichen Karawanenstraße durch den Sinai zum Nildelta gezogen sein. Kreuz und quer ging es dann bis nach Maadi, heute einem Villenvorort von Kairo, wo die Heilige Familie einen Nilsegler flussaufwärts nahm. Das Marienkloster Der-el-Muharraq 60 Kilometer nördlich von Assiut gilt als der eigentliche Aufenthaltsort, wo die Familie sechs Monate gewohnt habe.
Der Weg der Heiligen Familie wird von der koptischen Tradition reich ausgeschmückt. Bei Bubastis, unmittelbar nach der Ankunft im Nildelta, sei sie von zwei Wegelagerern angehalten worden, die die goldenen und silbernen Sandalen des Jesu-Kindes stahlen. Da Maria darüber betrübt war, segnete Jesus den Boden und im selben Augenblick schoss eine Quelle hervor. Weiter im Osten heißt ein Ort Bikha-Isus, «der Fußabdruck Jesu», den dieser im Stein hinterlassen haben soll. In Matariya im Norden Kairos gibt es bis heute einen von Christen wie von Muslimen verehrten «Marienbaum», unter dem die Familie gerastet haben soll. Im heutigen Alt-Kairo, wo wenige Schritte neben der Krypta der Heiligen Familie eine jüdische Synagoge steht, sollen sie bei Bekannten untergekommen sein, bevor sie in die Heimat zurückkehrten.
Die Tradition der Heiligen Familie mit ihren vielen bunten Facetten ist bei den Christen Ägyptens stärker verankert als die Tradition von Moses am fernen Sinai. Das zeigte sich deutlich beim Papstbesuch im Februar in Kairo. Johannes Paul II. erntete gewaltigen Applaus, als er in seiner Predigt vom Aufenthalt des kleinen Jesus und seiner Familie in Ägypten sprach. In welchem Umfang es gelingt, christliche Pilger auf die Spuren der Heiligen Familie zu bringen, bleibt abzuwarten.
Zum Heiligen Jahr 2000 selbst hat sich die neue Initiative noch nicht nennenswert ausgewirkt, bestätigt die aus Deutschland stammende Reise-Managerin Elisabeth Striebel-Sharawi. Allerdings braucht es seine Zeit, bis die internationalen Reiseveranstalter auf das neue Projekt reagieren können. Das Material kommt allmählich zur Verteilung. Und nachdem es den klassischen Bildungstouristen immer weniger gibt, der zwei Wochen lang nur Pyramiden, Tempel und Dynastien studiert, ist das Land am Nil froh, ein neues Tourismus-Segment anbieten zu können. Zugleich bedeutet das Projekt aber auch eine Stärkung der christlichen Tradition und Kultur im heute mehrheitlich islamischen Ägypten.
Kathpress
19. desember 2000