Jerusalem, 3.4.02 (KAP) Die Geburtsbasilika in Bethlehem, einer der heiligsten Orte der Christenheit, steht derzeit im Zentrum der Kämpfe zwischen Israelis und Palästinensern. Mindestens 100 teilweise schwer bewaffnete Palästinenser - sowohl Angehörige offizieller palästinensischer Polizeieinheiten und Garden als auch "irreguläre" Milizionäre - haben sich gewaltsam Zugang zu dem Gotteshaus verschafft und sich dort verschanzt. Die ebenfalls eingeschlossenen 40 Franziskanermönche, rund 30 orthodoxe und armenische Mönche sowie einige Ordensfrauen kümmerten sich um die rund 20 Verwundeten. Wegen der Belagerung durch israelische Soldaten könne niemand das Gotteshaus verlassen. Auch mehrere italienische Journalisten seien in der Geburtskirche eingeschlossen.
Ein israelischer Militärsprecher nannte die Kirchenbesetzung einen "zynischen Missbrauch" und forderte alle Palästinenser auf, "freiwillig mit erhobenen Händen" herauszukommen. Da die israelische Armee um die große religiöse Bedeutung der Geburtsbasilika wisse, habe sie strikte Anweisung erhalten, nicht auf diese Kirche zu schießen, so der Sprecher weiter. Zuvor hatte der lateinische Patriarch von Jerusalem, Michel Sabbah, für die in der Geburtskirche verschanzten Palästinenser "Kirchenasyl" verlangt. Kämpfer, die ihre Waffen niedergelegt hätten, besäßen ebenso Anspruch auf "Kirchenasyl" wie Zivilisten, sagte der Patriarch am Mittwoch in Jerusalem.
Der Vatikan bestellte angesichts der Zuspitzung der Lage in Bethlehem die Vatikan-Botschafter Israels sowie der USA, Josef Neville Lamdan und James Nicholson, zu getrennten Treffen ein. Dabei habe der vatikanische "Außenminister" Erzbischof Jean-Louis Tauran die "dem palästinensischen Volk auferlegten Ungerechtigkeiten und Demütigungen" verurteilt, teilte Vatikansprecher Joaquin Navarro-Valls am Mittwoch mit. Der Vatikan bestehe auf der Respektierung der betreffenden UN-Resolutionen und verlange den Schutz der heiligen Stätten. In Israel selbst bemüht sich der Apostolische Nuntius, Erzbischof Pietro Sambi, um Vermittlung. Nach Angaben des israelischen Rundfunks steht Sambi mit den Behörden in Kontakt, um eine Lösung der Situation in Bethlehem zu erreichen.
Führende Jerusalemer Kirchenvertreter hatten am Mittwochmorgen vergeblich versucht, mit einem "Friedenskonvoi" nach Bethlehem zu gelangen. Der Versuch sei nach mehr als einstündigen Diskussionen an der israelischen Straßensperre zwischen Jerusalem und der acht Kilometer entfernten Geburtsstadt Jesu gescheitert, sagte der Ordinariatskanzler des lateinischen Patriarchats, Raed Abusahlia.
Eine der ältesten Kirchen
Die Geburtsbasilika zählt zu den ältesten erhaltenen christlichen Gotteshäusern. Kaiser Konstantin der Große veranlasste im Jahr 326 die Erbauung der Basilika. Einige Bauteile dieser ursprünglichen Basilika sind erhalten, auch wenn das Gotteshaus in seiner heutigen Erscheinungsform vor allem auf die Zeit Kaiser Justinians des Großen (526-565) und auf die Kreuzfahrer-Epoche zurückgeht. Die Basilika enthält am Ostende der Krypta die "Geburtsgrotte", die gläubige Christen als Ort der Geburt Jesu verehren. Die Basilika steht heute im Eigentum des griechisch-orthodoxen und des armenisch-apostolischen Patriarchats von Jerusalem; die Katholiken haben nur Gastrecht.
Seit mehr als 1.600 Jahren leben hier Mönche. In der Geburtskirche wird fast immer gebetet. Auch nachts um eins oder morgens um fünf liegen Gesang und Weihrauch in der Luft. Das Eindringen der palästinensischen Kämpfer ist ein Novum; die Geburtsbasilika wurde nie zerstört - auch nicht während des persisch-römischen Krieges im Jahr 614, als die Truppen von Shah Chosroes das Heilige Land verheerten. Die persischen Truppenführer verschonten die Basilika, weil die Heiligen Drei Könige dort als persische "Mobedhan" (Priester der zoroastrischen Religion des alten Iran) abgebildet waren.
Noch während der 1996 beendeten israelischen Besatzung in Bethlehem untersagte eine große Warntafel am Eingang ausdrücklich jegliche Mitnahme von Waffen; daran hielten sich in der Regel auch die israelischen Soldaten. Während der vergangenen Jahre waren - nicht nur, wenn zu Weihnachten Palästinenser-Präsident Jassir Arafat im Haus war - auch bewaffnete Sicherheitskräfte in der Kirche zu sehen. Nun scheint es so, als ob sich die Kämpfer Arafats angesichts der Härte des israelischen Vorgehens oder aus taktischen Gründen bewusst in der Basilika und wohl auch in anderen Kirchen der Stadt verschanzten, was von israelischer Seite als "zynische Ausbeutung" heiliger Stätten kritisiert wurde.
Auch wenn die Basilika eine der ältesten komplett erhaltenen Kirchen überhaupt ist, haben spätere Zeiten trotzdem Spuren hinterlassen. Mit dem Beginn der islamischen Herrschaft im 7. Jahrhundert erhielt die Basilika nach einer Anordnung des Kalifen Omar besonderen Schutz - und blieb damit auch respektiert, als 1009 der fanatische bürokratische Wahn des geistesgestörten Kalifen Hakim viele andere Kirchen im Heiligen Land zerstörte. Im 12. Jahrhundert - während des lateinischen Königreichs - wurden die Wände der Kirche mit kostbaren Mosaiken verziert. Sie sind neben 36 Säulen und fein gearbeiteten Bodenmosaiken aus dem Kirchenbau des 4. Jahrhunderts einer der vielen unermesslichen Kunstschätze der Geburtskirche.
Kathpress
3. april 2002