Palästinenser sind zu Aufgabe der Besetzung nicht bereit, Israel verweigert weiter Versorgung der Eingeschlossenen mit Lebensmitteln, Wasser und Strom
Jerusalem, 10.4.02 (KAP) Die Versorgungslage in der von palästinensischen Milizionären besetzten und der israelischen Armee belagerten Bethlehemer Geburtskirche wird nach Angaben der eingeschlossenen Franziskaner immer schwieriger. Am neunten Tag der Auseinandersetzung seien kaum noch Nahrungsmittel vorhanden; trotz zwischenzeitlicher Verhandlungen gebe es weder Strom noch Wasser, erläuterte einer der Ordensmänner am Mittwochmorgen telefonisch. Das wenige noch zur Verfügung stehende Wasser stamme aus einer Zisterne.
Zugleich sagte der Pater, die Zahl der verletzten Palästinenser in der Geburtskirche sei gestiegen. Ein Mann sei von einem israelischen Querschläger am Bauch schwer verwundet worden und befinde sich in kritischem Zustand. Der Mann hatte versucht, über einen Weg im Freien in den armenischen Teil des Gebäudekomplexes zu gelangen.
Der Franziskaner dementierte zugleich Berichte, wonach der am Montag getötete 23-jährige Palästinenser am Dienstagnachmittag auf dem Gelände der Geburtskirche begraben worden sei. Der Leichnam sei lediglich in eine Grotte außerhalb der Geburtsbasilika gebracht worden, um durch die Kühle des unterirdischen Raums das Verwesen des Leichnams zu verzögern. Der Getötete gehörte zu den palästinensischen Sicherheitskräften und war am Montag erschossen worden, als er einen bei einem Angriff israelischer Soldaten ausgelösten Brand löschen wollte. Die israelische Armee lehnte es ab, den Leichnam durch Angehörige des Roten Kreuzes aus der Kirche holen zu lassen.
Weitere Granatenexplosionen
Der Belagerungszustand um die Geburtskirche in Bethlehem hielt auch am Mittwochmorgen an. Berichte sprachen von Granatenexplosionen auf der Rückseite eines an den Gebäudekomplex angrenzenden Hotels. Nähreres wurde nicht bekannt. Noch immer halten sich rund 200 teilweise bewaffnete Palästinenser in dem Komplex verschanzt. Sie wurden am Dienstag von Palästinenserpräsident Yassir Arafat aufgerufen, sich nicht zu ergeben.
Unterdessen erklärte der stellvertretende israelische Außenminister Michael Melchior, eine Erstürmung der Geburtskirche wäre katastrophal für das israelische Ansehen. Die heiligen Stätten der Christenheit gehörten nicht Israel und den Palästinensern, sondern der Kirche, betonte der Rabbiner, der am Montag Teil der Delegation der israelischen Regierung war, die mit Kirchenführern verhandelt hatte. Israel sei im Krieg mit fundamentalistischen Muslimen und nicht mit der christlichen Welt. Der Konflikt um die Geburtskirche müsse mit größter Sorgfalt gelöst werden. Die Soldaten in Bethlehem hätten diesbezüglich klare Anweisungen.
Kompromissvorschläge abgelehnt
Beobachter sehen allerdings Unstimmigkeiten zwischen der israelischen Regierung und der Armeeführung. Die unnachgiebige Haltung der Militärs widerspreche den Vereinbarungen der Krisensitzung zweier Regierungsvertreter mit rund einem Dutzend christlicher Kirchenführer am Montagabend, heiß es in Jerusalem. Für Dienstag war eine Lieferung von Lebensmitteln und Trinkwasser für die in der Bethlehemer Geburtskirche eingeschlossenen Ordensleute vereinbart worden. Ein Militärsprecher hatte eine solche Vereinbarung auf Anfrage dementiert. Von Seiten der Armee wurde auch erneut bekräftigt, man werde keine andere Lösung als die Aufgabe der Besetzer der Geburtskirche akzeptieren.
Der Franziskaner-Kustos für das Heilige Land, Pater Giovanni Battistelli, gab unterdessen bekannt, man habe bereits mehrfach als Ausweg vorgeschlagen, dass die Palästinenser unter internationalem Schutz die Geburtskirche verlassen können. Aber Israelis wie Palästinenser hätten diesen Vorschlag bisher abgelehnt.
Bethlehems Bürgermeister Hanna Nasser erklärte, die Palästinenser in der Geburtskirche könnten trotz akuten Lebensmittelmangels noch etwa eine Woche überleben. Es sei das Ziel der israelischen Armee, sie auszuhungern und so zum Aufgeben zu zwingen.
In ganz Bethlehem spitzt sich die Lage zu
Nicht nur die in der Geburtskirche, in ganz Bethlehem spitzt sich die Lage zu. Vor allem Familien mit Kindern leiden unter der Abriegelung der Stadt. Es sei den verbliebenen Bewohnern nicht möglich, ihre Häuser oder Wohnungen zu verlassen, um sich mit Lebensnotwendigem einzudecken. Von den Israelis angekündigte Kampfpausen seien bisher immer wieder aufgeschoben worden.
Die Lage im Bethlehemer Baby-Hospital der Caritas ist nach Angaben der dort eingeschlossenen Mitarbeiter "mehr als dramatisch". Allerdings sei das Kinderkrankenhaus derzeit nicht direkt von den Kampfhandlungen betroffen und auch von Durchsuchungen verschont geblieben. Das seit 50 Jahren bestehende Hospital ist das einzige auf Kleinkinder spezialisierte Krankenhaus in den palästinensischen Gebieten.
Seit der am Ostermontag begonnenen Großoffensive der israelischen Armee versieht die aus 34 Personen bestehende Belegschaft des von der Außenwelt abgeschlossenen Hospitals den medizinischen und pflegerischen Dienst für 25 kranke Kleinkinder und vier Mütter. Als die Ausgangssperre in Bethlehem am Freitag kurz aufgehoben worden sei, habe eine Mitarbeiterin ausgewechselt sowie frisches Brot besorgt werden können.
Behandlungsbedürftige Kinder im Umland konnten Klinikmitarbeiter nach eigenen Angaben seit Ostern nicht mehr erreichen. Die Ärzte müssten telefonischen Beratungsdienst verrichten. Nur in einem Fall sei es gelungen, ein unter gefährlichen Umständen ins Hospital gebrachtes Kind in ein anderes Krankenhaus zu überführen. Das Kind habe nicht im Caritas Baby-Hospital behandelt werden können, hieß es.
Mesner der Geburtskirche schwer verletzt
Der Mesner der armenischen Gemeinde in der Geburtskirche in Bethlehem ist am Mittwochmittag durch Schüsse schwer verletzt worden. Wie der israelische Rundfunk berichtete, wurde der Mann in "kritischem Zustand" ins Hadassa-Krankenhaus gebracht. Das Armenische Patriarchat bestätigte den Vorfall im Gespräch mit der deutschen katholischen Nachrichtenagentur KNA.
Laut Rundfunk wurden Medikamente zu der besetzten Geburtskirche gebracht. Bei der Übergabe durch ein Fenster an der Südwestecke des Gebäudekomplexes, beim armenischen Kloster, seien aus unbekannter Richtung Schüsse gefallen. Dabei sei der Mesner schwer verletzt worden.
Der Verwundete namens Armen Sisilian wurde laut Bericht durch das Fenster zu dem Fahrzeug geschoben, das die Medikamente gebracht hatte, und zu einer israelischen Ambulanz gebracht. Unklar sei, ob der Mesner durch Schüsse palästinensischer oder israelischer Schützen getroffen wurde. (Forts)
Katzav: Kein freies Geleit für Terroristen
Der israelische Staatspräsident Mosche Katzav hat den kirchlichen Vermittlungsvorschlag abgelehnt, den rund 200 in der Geburtskirche verschanzten Palästinensern freies Geleit zu gewähren. In einem am Mittwoch von der israelischen Botschaft beim Heiligen Stuhl veröffentlichten Schreiben Katzavs an Papst Johannes Paul II. heißt es, um ein weiteres Blutvergießen durch die "bewaffneten palästinensischen Terroristen" zu verhindern, müssten sie an ihrer Flucht gehindert werden.
Der Vatikan hatte am Vortag nachdrücklich eine Respektierung der christlichen Heiligen Stätten sowohl durch die Israelis als auch durch die Palästinenser eingemahnt.
Die israelische Regierung werde "mit aller Kraft dafür sorgen, dass die Geburtskirche nicht zum Ziel bewaffneter Auseinandersetzungen" werde und die eingeschlossenen christlichen Ordensleute nicht zu Schaden kämen, sagte der Präsident zu. Die Palästinenser hätten dagegen regelmäßig "schuldlose Zivilisten als Schutzschild" benützt. Nach israelischer Darstellung werden die mehr als 40 Ordensleute von den Palästinensern als Geiseln gehalten. Das hatten die Franziskaner mehrfach dementiert.
"Kirchen entweiht"
Der Staat Israel erweist nach Darstellung Katzavs "allen religiösen Gemeinschaften im Land die gleiche Hochachtung". Daher sei die Armee angewiesen worden, nicht auf Kirchengebäude zu schießen. Umgekehrt hätten die Palästinenser wiederholt die Heiligkeit von Kirchen innerhalb ihrer Jurisdiktion entweiht. Das Ziel Israels bleibe es, die "bewaffneten Terroristen" in der Geburtskirche unverletzt aus der Kirche herauszubringen. Da ein freies Geleit nicht gewährt werden könne, müsse die Armee weiter präsent bleiben.
Sobald die Terroristen aufgegeben hätten, werde man sich zurückziehen, so Katzav. Es sei die "Pflicht der internationalen Gemeinschaft", die "Entweihung der 'terra sancta'" nicht weiter hinzunehmen. Der Präsident wörtlich: "Terror im Namen Gottes kann nicht toleriert werden". Zugleich versprach Katzav im Namen der israelischen Regierung, weiterhin die Rechte und Privilegien der christlichen Kirchen in Israel zu schützen.
Liste von Terroristen in Geburtskirche
Die israelische Armee hat auf ihrer Internetseite eine Liste und Fotos angeblicher palästinensischer Terroristen veröffentlicht, die sich ihrem Wissen nach in der Geburtskirche in Bethlehem aufhalten. Sie fordert, diese Männer zu verhaften und vor Gericht zu stellen.
Die Liste dürfte Beobachtern zu Folge den Israelis als Argumentationshilfe gegen den Vorschlag von kirchlicher Seite dienen, den rund 200 in dem Gotteshaus verschanzten, teilweise bewaffneten Palästinensern "freies Geleit" anzubieten und sie ins Ausland zu bringen, um den Belagerungszustand um die Heilige Stätte zu beenden.
Unter den zehn namentlich genannten Mitgliedern der Fatah-Tanzim- Organisation bzw. der Hamas-Bewegung befindet sich der 1973 geborene Ibrahim Musa Salem Abyat, genannt "Abu Galif", dem vorgeworfen wird, einen israelischen Offizier, eine israelische Frau und den Amerikaner Avi Boaz umgebracht zu haben. Boaz hatte in Beit Jala ein Hotel betrieben und galt als großer Freund der Palästinenser. Ebenso sei Abu Galif am Beschuss des Jerusalemer Viertels Gilo mit Mörsergranaten beteiligt gewesen.
Selbstmordattentate geplant
Dem 1979 geborenen Muhammad Said Attallah Salem aus dem Flüchtlingslager Dehaische wird die Planung von Selbstmordattentaten in Jerusalem vorgeworfen. Er habe unter anderem eine 18 Jahre alte Schülerin aus Dehaische zu dem Jerusalemer Supermarkt geschickt, wo sie sich in die Luft sprengte und zwei Menschen tötete.
Der 1963 geborene Kamel Hassan Hamid wird als der Generalsekretär der Fatah-Organisation in Bethlehem beschrieben, der verantwortlich für die Beschaffung von Waffen und Sprengstoff sei. Er verteile Gelder an "Terroristen". Israel hatte vor wenigen Tagen Dokumente vorgelegt, nach denen die Zahlungen von Arafat persönlich genehmigt werden. Die übrigen Palästinenser werden beschuldigt, Selbstmordattentäter nach Jerusalem geschickt zu haben, die allerdings von den Israelis abgefangen und verhört werden konnten, sodaß die Namen der Hintermänner bekannt wurden.
Auf Anfrage sagte der israelische Militärsprecher, der Geheimdienst habe herausgefunden, dass sich die Männer in der Kirche aufhielten. Er wollte nicht sagen, mit welchen Methoden der Geheimdienst zu diesen Erkenntnissen kam.
Kathpress
10. april 2002