Katholischer Priester und Friedenspreisträger: Zukunft Israels kann nur mit Gerechtigkeit und Versöhnung und nicht mit Waffengewalt geschaffen werden
Wien, 19.4.02 (KAP) Wenig Aussicht auf einen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern unter einem israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon und einem US-Präsidenten George Bush sieht der in Israel wirkende melkitisch-katholische Priester Elias Chacour. Für eine Friedenslösung brauche es eine israelische Führung, "die versteht, dass die Zukunft des Landes nicht mit Waffen und Gewalt geschaffen werden kann", sagte Chacour in einem Gespräch mit "Kathpress" in Wien. Gerechtigkeit auch für die Palästinenser und Versöhnung seien der einzige Weg zum Frieden.
Der 63-jährige Elias Chacour stammt aus einer palästinensischen Familie in Nordgaliläa. 1951 wurde sie von israelischen Soldaten aus ihrem Heimatdorf vertrieben. Als Priester wurde Chacour - er ist israelischer Staatsbürger - eine der Leitfiguren für Frieden und Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern. Anfang der achtziger Jahre startete er in Ibilin in der Nähe von Nazareth ein kleines Schulprojekt für palästinensische Schüler. Inzwischen ist daraus ein Schul- und Universitätszentrum entstanden, das 4.200 Schülern und Studenten - Christen, Muslimen, Juden und Drusen - eine Ausbildung ermöglicht. Unter den 250 Lehrenden sind 28 jüdische Professoren. Für sein Engagement wurde er mehrfach international ausgezeichnet, unter anderem 1994 mit dem Methodisten-Weltfriedenspreis und 2001 mit dem Niwano-Friedenspreis.
An den derzeitigen Vermittlungsbemühungen der USA lässt Chacour kein gutes Haar. Die USA kämen nicht in der neutralen Rolle des Vermittlers. Ihr Hauptinteresse sei kein langfristiger Friedensprozess. Ihnen gehe es ganz offensichtlich nur darum, den Konflikt für eine gewisse Zeit ruhig zu stellen, um freie Hand für einen Militärschlag gegen den Irak zu haben - "ansonsten wäre Außenminister Colin Powell nicht eine Woche durch arabische Länder gereist, während Sharon seinen schmutzigen Job in den Palästinensergebieten erledigte", so Chacour. Zudem seien die USA nur an ihrem Kampf gegen den Terrorismus interessiert, und den sähen sie einseitig nur auf palästinensischer Seite. Die Behauptung, die Palästinenserführung fördere den Terror, hätten die USA bisher nicht nachgewiesen.
Israel schafft Terroristen von morgen
Auch das derzeitige gewaltsame Vorgehen der israelischen Armee wird nach Einschätzung des Priesters mittelfristig genau das Gegenteil dessen bewirken, was man erreichen wollte. Man werde das Land nicht von Terror reinigen, sondern Israel schaffe sich heute die Terroristen vor morgen. Er stelle das fest als entschiedener Gegner jeder Gewalt und jedes Terrorismus auf beiden Seiten, sagte Chacour. Aus der verhängnisvollen Spirale der Gewalt entkomme man nicht durch neue Gewalt. Sharon habe nur die Absicht, die Infrastruktur der Palästinenser zu zerstören und sie zu schwächen.
Der Terror werde solange einen Nährboden haben, so lange es keine Zeichen der Hoffnung für die Palästinenser gebe, betonte der Priester. Zu diesen notwendigen Hoffnungszeichen gehöre eine Aussicht auf ein konkretes Datum, wann die israelische Besetzung der Palästinensergebiete beendet wird und wann die Errichtung jüdischer Siedlungen in diesen Gebieten gestoppt wird. Nur wenn sich Israel klar zu einer gerechten Lösung auch für die Palästinenser durchringe, könne es Frieden geben, betonte der Priester.
Kein Heiligtum mehr wert als ein Menschenleben
Zur Situation der Geburtsbasilika meinte Chacour, sie sei ein Symbol für das Überleben der Christen im Heiligen Land. Wichtiger als jede Heilige Stätte seien aber die Menschenleben. "Ich hoffe, dass die Christen in aller Welt nicht geschockt sind, weil einige Palästinenser in der Geburtskirche Zuflucht gesucht haben, sondern weil in den vergangenen Wochen Palästinenser massakriert wurden und Juden durch Terroranschläge ihr Leben verloren haben", so Chacour. Was die Situation an der Geburtskirche so extrem gefährlich mache, sei ihre hohe Symbolkraft, die von beiden Seiten für Propaganda missbraucht werde.
Die jetzigen Entwicklungen bereiten der Kirche noch größere Sorge um ihre Zukunft im Heiligen Land. In den vergangenen 25 Jahren seien 60 Prozent der palästinensischen Christen ausgewandert. Einer jüngsten Umfrage zufolge würden zwei Drittel der jungen Christen das Land sofort verlassen, wenn sie könnten. Die Christen seien eingeschlossen zwischen Radikalen auf beiden Seiten, Juden wie Palästinensern. Dennoch sei es ihre Aufgabe, vermittelnd tätig zu sein.
Kathpress
19. april 2002