Jerusalem, 24.4.02 (KAP) Die Franziskaner des Heiligen Landes wollen Israel gerichtlich zwingen, die Strom- und Wasserzufuhr zur Geburtskirche in Bethlehem wieder herzustellen. Eine entsprechende Klage reichte die Kustodie des Heiligen Landes am Dienstag beim Obersten Gericht Israels ein. Ebenso verlangen die Franziskaner von der Armee, sie solle die Anlieferung von Nahrungsmitteln und Medikamenten für die seit 22 Tagen in dem Gotteshaus eingeschlossenen Geistlichen gewährleisten. Neben den 40 Priestern und Ordensleuten halten sich auch rund 200 teilweise bewaffnete Palästinenser in der Kirche verschanzt. Die israelische Armee belagert das Gotteshaus und versucht, unter anderen durch Lärmterror, die Eingeschlossenen zum Aufgeben zu zwingen.
Weiterer Palästinenser schwer verwundet
Ein Palästinenser, der am Mittwochmorgen die Geburtskirche verlassen wollte, ist von israelischen Soldaten angeschossen und schwer verwundet worden. Der Verwundete ist laut israelischen Medienberichten in ein Spital in Israel gebracht worden. Genaueres über den Vorfall wurde bisher nicht bekannt.
Dritte Gesprächsrunde am Mittwochnachmittag
Palästinenser und Israelis hatten für Mittwochnachmittag eine dritte Verhandlungsrunde über die Lösung der Krise um die Geburtskirche angesetzt. Die zweite Gesprächsrunde am Dienstagabend war ergebnislos zu Ende gegangen. Laut den Angaben des Bethlehemer Bürgermeisters Hanna Nasser hatten beide Seiten auf ihren Positionen beharrt.
Israel verlangt für jene in der Geburtskirche verschanzten Palästinensern, die es als Terroristen einstuft, dass sie sich entweder vor einem israelischen Gericht verantworten oder lebenslang ins Exil gehen; als Exilland ist Jordanien im Gespräch. Die Palästinenser schlagen einen Transfer dieser 30 bis 40 Palästinenser in den Gaza-Streifen vor. Dort müssten sie sich dann vor einem palästinensischen Gericht verantworten, aber nur, wenn präzise Anschuldigungen gegen sie vorliegen, so Nasser gegenüber dem Missionspressedienst "Misna".
Die palästinensische Seite hatte zudem verlangt, dass zuerst über die Versorgung der in der Kirche Eingeschlossenen mit Wasser, Nahrungsmitteln und Medizin verhandelt werden müsse. Dies sei von den Israelis strikt abgelehnt worden, so Nasser. Das einzige Zugeständnis war, dass am Dienstagabend vier verwundete Palästinenser aus der Geburtsbasilika abtransportiert werden konnten.
"Lage ist untragbar geworden"
Unterdessen wird die Lage der in die Geburtskirche geflohenen Palästinenser und der weiter ausharrenden Ordensleute immer bedrängender. Die Nahrungsmittel sind weitgehend aufgebraucht. Die sanitären Zustände sind untragbar geworden. Zudem haben die Israelis die Stromversorgung gekappt, sodaß es seit einigen Tagen keinen Telefonkontakt mehr gibt und auch Handys nicht mehr aufgeladen werden können.
Maroun Lahham, Rektor des lateinischen Seminars in Bethlehem, der in engem Kontakt mit den eingeschlossenen Franziskanern steht, sagte, Hunger und zunehmende Verzweiflung führten zu wachsenden Spannungen zwischen den verschanzten Kämpfern und den Ordensleuten bzw. anderen eingeschlossenen Palästinensern.
Das armenische Patriarchat von Jerusalem teilte mit, den drei armenischen Geistlichen, die aus der Geburtskirche flohen, seien zuvor alle ihre restlichen Lebensmittel gestohlen worden. Sechs unbewaffnete palästinensische Jugendliche seien aus Verzweiflung in das armenische Kloster eingedrungen und hätten Nahrungsmittel und "andere dringend benötigte Gegenstände mitgenommen". Daraufhin hätten sich die drei Armenier - ein Priester und zwei Mönche - selbst zur Flucht entschlossen. Sie seien ohne Wasser, Essen, Strom, Medizin gewesen, und von jeglicher Kommunikation abgeschnitten.
Derzeit würden die drei Geistlichen im Patriarchat medizinisch versorgt. Sie sind höheren Alters, die letzten Tage hätten ihnen sehr zugesetzt, so die Information. Über die Vorgänge in der Basilika selbst und in anderen Teilen des Gebäudekomplexes konnten die drei Armenier wenig Angaben machen, da ihre Räume durch eine eiserne Tür abgeschlossen waren. Ursprüngliche Berichte, die eingedrungenen Jugendlichen hätten auch wertvolle Kreuze und liturgische Bücher mitgenommen, dementierte das Patriarchat.
Die israelische Armee hielt - trotz Dementis der Palästinenser - an Angaben fest, wonach mehrere Dutzend Jugendliche und Kinder unter der Geburtskirche von den palästinensischen Kämpfern festgehalten werden. Sie müssten dort ohne Licht und mit geringer Nahrung ausharren und seien gezwungen, in Plastikflaschen zu urinieren, hieß es.
"Es gibt keine gefangenen Kinder"
Ein Sprecher des Franziskanerordens in Rom wies diese Darstellungen zurück. Bis zum 19. April habe man ständigen Telefonkontakt zu den Eingeschlossenen gehabt. "Die Mitbrüder feiern jeden Tag eine Messe in der Grotte, sie haben nie etwas über gefangene Kinder gesagt", so der Sprecher. Auch das armenische Patriarchat erklärte, man könne Berichte über gefangene Jugendliche nicht bestätigen.
Ein wachsendes Problem stellen auch die Leichname von zwei getöteten Palästinensern dar, die in der Hieronymus-Grotte unter der Geburtskirche "zwischengelagert" sind. Die Israelis erlaubten bisher nicht den Abtransport. Die Leichen verwesen immer mehr, der Verwesungsgeruch werde immer unerträglicher. Die Hieronymus-Grotte ist nach dem Kirchenlehrer Hieronymus benannt. Er gründete um 389 in Bethlehem ein Kloster. Der Überlieferung nach schuf er in dieser Grotte die "Vulgata", die Übersetzung der Bibel aus dem Hebräischen und Griechischen ins Lateinische.
Jene fünf jungen Palästinenser, die am Sonntag aus der Geburtskirche geflohen waren, berichteten laut israelischen Medien, unter den Kämpfern in der Basilika seien auch die Mörder von sieben Palästinensern, die der Kollaboration mit Israel verdächtigt worden waren. Die Leichen der Feme-Opfer seien von den israelischen Soldaten am ersten Tag ihres Vormarsches in Bethlehem gefunden worden.
Israel wirft Palästinenserpräsident Yassir Arafat vor, die Krise um die Geburtskirche in Bethlehem möglichst lange hinauszögern zu wollen, weil die Bilder von der belagerten Kirche die Kritik an Israel schürten und den Palästinensern Sympathien brächten. Starker Druck aus dem Ausland sei nötig gewesen, damit Arafat den Verhandlungen über eine Lösung für die Geburtskirche überhaupt zustimmte.
"Belagerung Bethlehems beenden"
Das sofortige Ende der israelischen Belagerung der Geburtskirche und der ganzen Stadt Bethlehem forderte erneut das Lateinische Patriarchat von Jerusalem. Es könne nicht angehen, dass neben den Eingeschlossenen in der Kirche auch die rund 100.000 Bürger der Geburtsstadt Jesu "kollektiv bestraft würden", betonte das Patriarchat in einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung.
Seit mehr als drei Wochen hätten alle diese Menschen wegen der von Israel verhängten Ausgangssperre keinen Zugang zu Nahrungsmitteln, zu ihren Arbeitsstätten oder zu Schulen. Man müsse sich ernsthaft die Frage stellen, ob dieses Vorgehen nicht Hass und Gewalt verstärke, anstatt zur Lösung des Konflikts beizutragen.
Telefonkontakte weitgehend unterbrochen
Der Sprecher der Franziskanzer-Kustodie im Heiligen Land, P. David Jaeger, erklärte zum bisherigen Verlauf der palästinensisch-israelischen Verhandlungen über die Geburtskirche: "In diesem Augenblick möchte ich noch einmal wiederholen: Wer sich für eine nutzlose Verlängerung dieser Qual verantwortlich macht, wird von der Geschichte bestraft werden. Wer hingegen Großherzigkeit, Güte und Weitsicht unter Beweis stellt, wird sich damit die Wertschätzung zukünftiger Generationen verdienen".
Weiter berichtete P. Jaeger, der Kontakt zu den Ordensleuten im Inneren der Basilika gestalte sich zunehmend schwieriger: "Seit vielen Stunden können wir unsere Mitbrüder und Schwestern im Konvent nicht mehr erreichen. Nur selten gelingt es einem von ihnen, mit uns über ein Mobiltelefon in Kontakt zu treten. Im allgemeinen ist der Kontakt abgebrochen".
Weitere Palästinenser verlassen Geburtskirche
Am Mittwoch verließ eine weitere Gruppe von Palästinensern die Geburtskirche. Nach übereinstimmenden Medienberichten handelte es sich um drei Männer, von denen einer verletzt ist. Ein israelischer Militärsprecher sprach lediglich von zwei Palästinensern, die sich ergeben hätten. Die Männer seien geschwächt, hätten jedoch gehen können, so der Sprecher.
Oberstes Gericht ordnet Versorgung an
Der Oberste Gerichtshof Israels hat das Recht der bei der Geburtsbasilika eingeschlossenen Franziskaner auf Versorgung mit Nahrung bestätigt. Das Gericht gab einer dringlichen Klage der Franziskaner im Heiligen Land statt, wonach die Soldaten eine Versorgung der im Konvent verbliebenen Ordensmänner und -frauen gewährleisten bzw. ermöglichen müssen, berichtete der Missionsnachrichtendienst "Misna".
Der Generalökonom der Franziskaner-Kustodie in Jerusalem, Pater Abdel Mash Fayez, teilte mit, er sei am Mittwochnachmittag über den Entscheid des Gerichtes informiert worden. Demnach müsse es dem Orden erlaubt werden, täglich eine Mahlzeit zur Versorgung ihrer Mitbrüder zur Geburtskirche zu bringen. Die Soldaten seien verpflichtet, diese weiter zu reichen. Keine Antwort habe er bisher über eine Entscheidung des Gerichts bezüglich der Versorgung der eingeschlossenen Ordensleute mit Wasser und Strom sowie der Öffnung der Telefonleitungen, die von den Franziskanern ebenfalls eingeklagt worden war. Die Franziskaner bereiten bereits ihre erste Lieferung vor, berichtete P. Fayez.
Die Entscheidung der Oberstgerichtes berührt allerdings nicht die Frage der Versorgung der in der Geburtsbasilika verschanzten Palästinenser. Was die Versorgung der griechisch-katholischen Mönche betrifft, müsse sich deren Patriarchat mit den militärischen Autoritäten Israels in Verbindung setzen, hieß es. Für sie müsse aber ebenso humanitäre Hilfe möglich sein wie für die Franziskaner.
Der Spruch der Richter war wenige Minuten nach Beginn der dritten Verhandlungsrunde der Israelis und Palästinenser über eine Lösung des Konfliktes um die Geburtskirche bekannt geworden.
Weitere Entscheidung nach Verhandlungen
Wie P. Fayez weiter berichtete, will das Oberste Gericht erst nach Beendigung der heutigen Verhandlungsrunde über die Geburtskirche über die Frage der Versorgung mit Wasser, Strom und Telefon entscheiden. Derzeit halten sich in der Geburtskirche mehr als 200 Palästinenser, unter ihnen eine größere Gruppe Bewaffneter, sowie mehr als 30 Ordensleute auf.
Neue Schießereien in Bethlehem
Bei einem neuerlichen Schusswechsel an der Geburtskirche in Bethlehem sind nach israelischen Rundfunkberichten ein Palästinenser schwer und ein israelischer Soldat leicht verwundet worden. Die Schießerei habe sich zu dem Zeitpunkt ereignet, als die beiden Konfliktparteien eine dritte Verhandlungsrunde zur Lösung des Problems beginnen wollten.
Kathpress
24. april 2002