Zeithistorikern zeigt aber Verständnis, dass «Verzweiflung damals, Hass bis heute» viele Juden «wegen des Schweigens des Papstes, des 'Stellvertreters' Christi, über die Vernichtung von Millionen Juden» erfüllt
Wien, 9.10.02 (KAP) Nach Ansicht der Doyenne der österreichischen Zeitgeschichte, Prof. Erika Weinzierl, hat Daniel Goldhagen in seinem neuen Buch «+Die katholische Kirche und der Holocaust - Eine Untersuchung über Schuld und Sühne» Vorwürfe, die seit 40 Jahren erhoben werden, in bisher «schärfster» Form dargestellt. Doch in der 1963 erschienenen Dokumentation «Summa iniuria oder durfte der Papst schweigen?» von Fritz Raddatz sei bereits fast alles Wichtige in dieser Diskussion nachzulesen.
Weinzierl schrieb in einem Beitrag für die neueste Ausgabe der Wochenzeitung «+Die Furche», dass es eigentlich immer um eine Frage gehe: «Was hat Pius XII., was hat die katholische Kirche für die Juden getan?». Denn «Verzweiflung damals, Hass bis heute» erfülle viele Juden «wegen des Schweigens des Papstes, des 'Stellvertreters' Christi, über die Vernichtung von Millionen Juden».
Erwiesen sei, dass der spätere Papst Johannes XXIII., damals Nuntius in der Türkei, Juden gerettet und dass Pius XII. Juden in Klöstern verstecken lassen habe. Zielrichtung der Papst-Appelle von 1939 bis 1945 sei gewesen, die Kirche und die Katholiken zu schützen, «die in der NS-Zeit verfolgt wurden und deren Vernichtung nach dem 'Endsieg' beschlossene Sache war», erinnerte die Historikerin.
Die Ansicht Goldhagens, Pius XII. sei ein Antisemit gewesen, wies Weinzierl zurück. Ob ein öffentlicher Protest Pius' XII. die Juden gerettet hätte, sei nicht anzunehmen. «Dennoch» - so die Historikern - «bleibe die nicht nur Katholiken bis heute noch quälende Frage: Warum hat Pius XII. geschwiegen? Warum wurde das Volk der Bibel allein gelassen?»
Als Taten im Sinne der Ehrenrettung der Kirche erwähnte Weinzierl, dass P. Maximilian Kolbe mit jüdischen Kindern in die Gaskammer gegangen sei, viele Priester, Ordensfrauen und Laien Juden geholfen und ihnen das Leben gerettet hätten. Als Rom von der Deutschen Wehrmacht besetzt worden sei, seien Juden in der Vatikanstadt versteckt worden.
Weinzierl verwies auch auf ihre eigene Erfahrung mit der NS-Zeit. Sie habe «von ihren zwei besten Freundinnen, beide so genannte 'Mischlinge' und vor einigen Jahren gestorben, gewusst, was mit den in den Osten deportierten jüdischen Verwandten geschehen ist». Die Freundinnen hätten sie beschworen, darüber zu schweigen, im anderen Fall wären deren Familien und sie als Wissende in höchste Gefahr geraten.
Diskussion am 18. Oktober
Weinzierl, Goldhagen und der katholische Publizist, Historiker und Vatikanspezialist Hansjakob Stehle diskutieren am Freitag, 18. Oktober, über das Thema Kirche und Nationalsozialismus. Das Gespräch findet nach einem Vortrag Goldhagens um 20 Uhr im Wappensaal des Wiener Rathauses statt, Veranstalter sind die Alfred Herrhausen Gesellschaft für internationalen Dialog und der Siedler Verlag.
Kathpress
9. oktober 2002