Judaist Schubert: «Die christliche Verkündigung von Jesus Christus wird dadurch weder geschwächt noch gestärkt»
Wien-Jerusalem, 22.10.02 (KAP) Skeptisch hat der Wiener Judaist Prof. Kurt Schubert die jüngste «archäologische Sensation» eines Knochenkästchens beurteilt, das laut Medienberichten die Existenz Jesu beweisen soll. Wie die US-Zeitschrift «Biblical Archaeology Review» in ihrer am Dienstag erschienenen Ausgabe berichtet hatte, habe der katholische französische Schriften-Experte Andre Lemaire die in den Kalkstein des Kästchens geritzten aramäischen Schriftzüge «Jakob, Sohn des Josef, Bruder des Jesus» für «echt befunden». Damit gebe es, so das Magazin, den ersten archäologischen Beweis für die Existenz Jesu.
Wenn das Kästchen tatsächlich «echt» sei, dann würde die Inschrift auf einen Angehörigen Jesu, den «Herrenbruder» Jakobus («Bruder» bedeutete im damaligen Sprachgebrauch einen nahen Verwandten), verweisen, so Schubert im Gespräch mit «Kathpress», allerdings sei die Faktenlage doch sehr dünn. Es stelle sich für ihn die Frage, ob die Aufschrift tatsächlich aus jener Zeit stamme, zum anderen seien die Namen Jesus, Jakobus und Josef im Palästina vor 2.000 Jahren so populär gewesen «wie heute Schubert». Der Zusammenhang mit der Familie Jesu sei also nicht wirklich belegbar.
Das Knochenkästchen sei wohl für die Medien und viele Menschen eine willkommene Sensation, «es hilft uns aber weder im Glauben noch im historischen Wissen weiter», so Schubert. Die historischen Fakten über Jakobus den Märtyrer seien längst bekannt - er war Leiter der ersten urchristlichen Gemeinde in Jerusalem und wurde nach Angaben des römisch-jüdischen Historikers Josephus Flavius im Jahr 62 gesteinigt. Zum zweiten sage das Kästchen nichts darüber aus, was zentrales Anliegen der Evangelien sei. Schubert: «Die christliche Verkündigung von Jesus Christus, seinem Tod und seiner Auferstehung hängt davon überhaupt nicht ab, sie wird dadurch weder geschwächt noch gestärkt». Als «Beweis» für die Existenz Jesu seien ihm die Evangelien «allemal lieber», so Schubert.
Viele zur Kirche distanzierte Menschen seien für Sensationen «a la Knochenkästchen» besonders empfänglich, unterstrich Schubert. Die Ursache dafür sieht er in einem «Rest von Unsicherheit», «ob man sich mit seinem religiösen Desinteresse tatsächlich auf dem richtigen Weg befindet». «Bücher und Nachrichten über Jesus und die Bibel sind immer ein Hit», so Schubert, «ganz egal ob es darum geht, dass die Bibel Recht hat oder eben nicht».
«Jesus, Sohn des Josef und der Maria»
Auch der Schrift-Experte Andre Lemaire bestätigte, dass die drei Namen auf dem Knochenkästchen, das beim Dorf Silwan von palästinensischen Grabräubern gefunden wurde, zur Zeit Jesu «sehr gängig» gewesen seien. So wisse man von mindestens zehn echten Knochenkästen aus dieser Epoche mit dem Namen «Jesus». Es gebe sogar Kästen mit der Kombination «Jesus, Sohn des Josef und der Maria». Höchst ungewöhnlich sei jedoch der Hinweis «Bruder des Jesus», so Lemaire, der an der Pariser Sorbonne lehrt. Daraus könne man folgern, dass es sich bei dem erwähnten Jesus um eine bekannte Persönlichkeit gehandelt haben muss.
Anderer Meinung ist der Wiener Neutestamentler Martin Stowasser: Er glaube nicht, dass es sich bei dem angesprochenen Jesus um eine bedeutende Persönlichkeit handeln müsse. Die Angabe von Vater und Bruder könne auch bloß der Identifikation des Verstorbenen gedient haben, da alle drei Namen sehr häufig gewesen seien, so Stowasser in der «Presse». Weiters sei fraglich, warum nicht schon der damals gebräuchliche Eigenname «Jesus Christus» verwendet worden sei. Stowassers evangelischer Kollege Markus Öhler pflichtet hingegen Lemaire bei, dass die Kombination Jakob-Joseph-Jesus die Wahrscheinlichkeit erhöhe, dass es sich tatsächlich um den «Herrenbruder» Jakobus handle.
Ein Vertreter der Jerusalemer «Ecole Biblique» meldete starke Skepsis an: Er glaube nicht, dass sich der Name Jesus auf eine Berühmtheit beziehe, sagte Jean-Michel de Tarragon. Erhebliche Zweifel äußerte auch der renommierte Bonner Alttestamentler Heinz-Josef Fabry, der unter anderem darauf verwies, dass die christliche Urgemeinde in Jerusalem sozial eher zu den «kleinen Leuten» gehörte. Aus diesem Grund hätten sie sich allenfalls Erdbestattungen leisten können. Die steinerne «Knochenkiste» sei sehr kostspielig gewesen und spreche für einen wohlhabenden oder berühmten Toten.
Argwöhnisch macht nach Ansicht Fabrys auch die exakte Datierung, die doch mit der Datierung des Todes des Jakobus nach dem jüdisch-römischen Schriftsteller Flavius Josephus so auffällig zusammentreffe. Möglicherweise war zu dieser Zeit die christliche Urgemeinde auf der Flucht vor den Römern im ostjordanischen Pella. Auch das spreche gegen die Deutung. Lemaire sei als Experte für Aramäisch und Epigraphie bekannt, eine verlässliche Prüfung des Alters des Knochenbehälters müssten aber professionelle Archäologen vornehmen.
Ossuarien: Steinkästchen für die Reichen
Bis zur Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahr 70 war es bei den Juden üblich, die Toten in Leichentücher gehüllt in Grabkammern ein halbes Jahr verwesen zu lassen. Dann wurden die «trockenen Knochen» eingesammelt und in kleine Steinkästen, sogenannte «Ossuarien», verpackt. Die Grabhöhlen mit mehreren «Liegeplätzen» wurden oft mit wagenradgroßen runden Steinen als Tür «versiegelt». Da die Grabkammern zugänglich bleiben mussten, um neue Leichen hineinzulegen oder deren Knochen einzusammeln, konnte es auch passieren, dass eine Leiche «gestohlen» wurde.
Die Knochenkästen, einige schmucklos und billig, andere aufwendig mit Ornamenten geschmückt, wurden in einer vor einigen Jahren entdeckten Werkstatt auf dem Skopusberg in Jerusalem gefertigt und verkauft. Je reicher die Familie, desto kostbarer der Kasten. Der Name des Toten wurde nachträglich mit einem scharfen Gegenstand und nicht sehr künstlerisch in den weichen Kalkstein geritzt. Während des Golfkriegs 1991 entdeckten israelische Archäologen eine noch unberührte Grabkammer mit einem aufwendigen Ossuarium von «Joseph, Sohn des Kaiphas».
Für die Archäologen besteht kein Zweifel, dass es sich bei Kaiphas um den berühmten Hohepriester des Jerusalemer Tempels handelt, der Jesus den Römern übergab, um ihn vom römischen Prokurator Pontius Pilatus zum Tode verurteilen und am Kreuz hinrichten zu lassen. In einem anderen, vor etwa 20 Jahren entdeckten Ossuarium mit der Namensinschrift «Jochanan Sohn des Hagkol» machten die Archäologen eine weitere sensationelle Entdeckung: Der Mann war gekreuzigt worden. In seinem Fußknöchel steckte noch ein dicker Eisennagel sowie ein Stückchen Holz. Weil sich der Nagel beim Einschlagen ins Kreuz verbogen hatte, musste er zusammen mit dem Toten begraben und sechs Monate später in den Knochenkasten gebettet werden. Obgleich die Hinrichtung am Kreuz im römischen Reich üblich war und tausende Male vollstreckt wurde, ist dieser Knöchel eines etwa 20-jährigen jüdischen Zeitgenossen Jesu der erste und bisher einzige archäologische Beleg für diese Hinrichtungsmethode.
Im Jahr 2000 wurde im Jerusalemer Israel-Museum eine Ausstellung mit zahlreichen anderen Funden gezeigt, die zwar alle keinen einwandfreien Beweis für den historischen Jesus von Nazareth lieferten. Doch zusammen mit einer Namensinschrift des Pontius Pilatus, mit Tempelgeld und Trinkgefäßen, wie sie im Neuen Testament beschrieben und nur damals verwendet wurden, «bestätigen» sie das Umfeld Jesu in zahlreichen Beschreibungen des Neuen Testaments.
Kathpress
22. oktober 2002