Im Nahen Osten wetteifern die Archäologen - Skepsis bei vielen Wissenschaftlern
Jerusalem, 14.11.02 (KAP) Die Nachricht war knapp, und sie verhieß eine Sensation: «Älteste christliche Kirche gefunden». US-Forscher haben am Strand des Roten Meeres bei der südjordanischen Stadt Aqaba Reste eines Kirchenbaus aus der Zeit um 300 ausgegraben. Der Fund ist spektakulär, aber nicht so sehr, wie es die amerikanischen Wissenschaftspublizisten vermuteten: Auch in Rom - ganz zu schweigen von verschiedenen syrischen Städten wie Dura Europos - gibt es christliche Hauskirchen, die lange vor 300 errichtet wurden.
In Aqaba, so mutmaßt Ausgrabungsleiter Thomas Parker von der North Carolina State University in Raleigh, handle es sich um den ältesten christlichen Sakralbau, der allein für diesen Zweck errichtet wurde. Die Ausrichtung des Baus nach Osten sowie die Ähnlichkeit des Grundrisses mit späteren Kirchen ließ die Forscher vermuten, einen Sakralbau vor sich zu haben. Das zumindest ist sicher: Ein Erdbeben zerstörte im Jahr 363 das Gebäude.
Doch der Paderborner Altertumsforscher Carsten-Peter Thiede, der zu den vertrautesten Kennern des Jerusalemer Untergrundes gehört, nimmt die Nachricht vom angeblich ältesten Kirchenbau gelassen. Er verweist auf die bereits vor Jahrzehnten erfolgten Ausgrabungen unter dem so genannten Davidsgrab auf dem Jerusalemer Zionsberg. In einem Raum unter dem aus der Kreuzfahrerzeit stammenden Saal, der von Christen als Abendmahlssaal verehrt wird, wurde gemäß der Tradition die Kirche «gegründet»: Am Pfingstfest, so erzählt es das Neue Testament, wurde der Heilige Geist über die Apostel ausgegossen.
Zwei Stockwerke tiefer gibt es nach Aussage Thiedes archäologische Reste, die nicht nur für ihn als Grundmauern des ersten christlichen Sakralbaus gelten. Er verweist auf die Arbeit des kürzlich verstorbenen Benediktinerpaters und Archäologen Bargil Pixner, der ebenfalls auf der Spur der ältesten christlichen Sakralbauten war.
Auch das Davidsgrab nahm Pixner dabei in den Blick. Diese Stätte, so schrieb er in seinem 1991 erschienenen Buch «Wege des Messias und Stätten der Urkirche», wurde schon in den siebziger Jahren des 1. Jahrhunderts, also kurz nach der Zerstörung Jerusalems durch die Römer, als judenchristliche Synagoge errichtet. Dafür sprechen die Ausrichtung des Gebäudes nach Golgotha und eben nicht zum weiter östlich gelegenen Tempelberg. Judenchristliche Graffiti wie «Oh Jesus, möge ich leben, oh Herr der Herrscher» bekräftigten die Vermutung Pixners, dass es sich bei diesen Gebäuderesten, die heute für Forscher nicht zugänglich sind, um die «Kirche der Apostel» handelte.
Hinter der Spekulation über den Fund von Aqaba steht auch das verzweifelte Ringen um touristische Aufmerksamkeit in der gesamten Region. Die Irak-Krise und vor allem die fast alltägliche Gewalt in Israel und Palästina haben den Touristenstrom fast völlig zum Erliegen gebracht. Der Archäologe Parker, der in unmittelbarer Nähe eines der schönsten Badestrände Jordaniens gräbt, errichtet dort derzeit einen Archäologiepark, zu dem nun auch die Reste der «ältesten Kirche» gehören sollen.
Kathpress
14. november 2002