«Unsere Christen sind entrüstet, denn sie fühlen keine wirkliche Unterstützung»
Fribourg-Jerusalem, 19.11.02 (KAP) Solange die israelische Besatzung der palästinensischen Gebiete andauert, seien «Friede und Vergebung» ein unerreichbares Ziel. Dies betonte der lateinische Patriarch von Jerusalem, Michael Sabbah, in Fribourg (Schweiz), wo ihm ein Ehrendoktorat der Theologischen Fakultät verliehen wurde. Nach zwei Jahren «Intifada» pflanze der Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt auf beiden Seiten Trauer und Zerstörung fort. Israel sei auf dem falschen Weg, wenn es denke, dass ihm der Krieg die Sicherheit bringen werde.
Der Patriarch bezeichnete das Schweigen der Kirchen des Westens über das Drama, das die Mutterkirche von Jerusalem durchleide, als seltsam. Unter den rühmlichen Ausnahmen, die auf das schwierige Los seiner Kirche aufmerksam machten, nannte Sabbah Papst Johannes Paul II., die US-amerikanische Bischofskonferenz und den Weltkirchenrat. Heute fühlten sich die Christen des Heiligen Landes allein gelassen, hielt der Patriarch fest. Wenn die Interessen der Muslime oder Juden gefährdet seien, so rührten sich überall die betreffenden Gemeinschaften. «Unsere Christen sind entrüstet, denn sie fühlen keine wirkliche Unterstützung; sie glauben, dass die christliche Welt und die christlichen politischen Kräfte nicht mehr existieren», sagte Sabbah wörtlich.
«Wir verlangen von den andern Kirchen nicht, einseitig Partei zu nehmen und den Palästinensern gegen die Israeli zu helfen, sondern, dass man beiden Seiten hilft, sich miteinander auszusöhnen», stellte der Patriarch fest. Der moralische Druck der Kirchen könne die Regierungen zum Handeln bewegen.
Der Patriarch von Jerusalem bedauerte den kontinuierlichen Exodus der Christen aus dem Heiligen Land. Im Gegensatz zu dem, was im Westen gesagt werde, sei es nicht muslimischer Druck, der die Christen vertreibe, sondern die unsichere Lage unter dem Besatzungsregime, betonte Sabbah. In den Palästinenser-Gebieten habe nur noch jeder Fünfte ein Lohneinkommen, die meisten davon als Beamte. Vier Fünftel hätten keine Ressourcen mehr und könnten kaum das einfache Überleben sicherstellen, während häufige Ausgangssperren die Leute am Verlassen ihrer Häuser hinderten. Häuser und Besitztümer seien zerstört, die Schulen seien mit Ausnahme der Dörfer außer Betrieb. Das Kleine Seminar von Beit Jala sei wegen der israelischen Beschießungen geschlossen worden, berichtete der Patriarch weiter. Die Familien der 14- bis 18-jährigen Seminaristen, namentlich jene aus Jordanien, ließen ihre Kinder aus Furcht um deren Leben nicht mehr nach Beit Jala gehen.
Die christlichen Palästinenser hätten nicht die Absicht, sich von ihren muslimischen Brüdern zu trennen, unterstrich Sabbah: «Wenn wir ein Ferment für diese Gesellschaft bleiben wollen, müssen wir es akzeptieren, als christliche Minderheit in dieser arabisch-muslimischen Gesellschaft zu leben, unsere Angelegenheiten selbst zu regeln und unser Heil nicht von außen zu erwarten».
Die Schweizer Ritter vom Heiligen Grab zu Jerusalem überreichten dem Patriarchen (er ist auch Großprior des Ritterordens) als «erste Anzahlung» einen Scheck über 10.000 Schweizerfranken für die Kirche von Jerusalem. Der Schweizer Statthalter des Ordens, Giorgio Moroni Stampa, sagte, dass die Stimme der Kirche des Heiligen Landes im Westen nicht immer verstanden und oft als «einseitig» bezeichnet werde. In Wirklichkeit sei sie von der Sorge um einen echten Frieden zwischen den beiden Völkern getragen.
Das lateinische Patriarchat betreibt u.a. 40 Kinderkrippen, 40 Volksschulen, 20 Hauptschulen und sieben Gymnasien. Diese Anstalten werden von mehr als 18.000 Schülern und Schülerinnen besucht, die aus den 13 christlichen Kirchen, aber auch aus der muslimischen Glaubensgemeinschaft stammen. Die Schulen haben derzeit wegen der kriegerischen Situation gravierende finanzielle Schwierigkeiten.
Kathpress
19. november 2002