Die Franziskaner versuchen, in der Geburtsstadt Jesu zur Linderung der Kriegsfolgen beizutragen
«Kathpress»-Korrespondentenbericht von P. Raynald Wagner OFM
Jerusalem, 23.12.02 (KAP) Bethlehem hatte begonnen, sich zur Jahrtausendfeier und zum Papstbesuch im März 2000 herauszuputzen. Überall wurde renoviert und gebaut, wurden Plätze und Straßen verschönert. Fünf Millionen Dollar, zum größten Teil internationale Hilfe, wurden dafür investiert. Die Geburtsstadt Jesu wollte sich bei der Jahrtausendwende der Welt in ihrem schönstem Gewand zeigen. Nichts ist heute von diesem Glanz geblieben.
Betlehem gleicht heute eher einer Geisterstadt. Seit Oktober 2001 ist die israelische Armee fünf Mal einmarschiert und hat traurige Spuren hinterlassen. 822 Häuser sind in Betlehem beschädigt oder ganz zerstört. Das benachbarte Beit Jala hat es noch schwerer getroffen: dort sind 1.700 zerstörte oder beschädigte Häuser zu beklagen, im ebenfalls benachbarten Beit Sahour, das die Pilger als Ort des Hirtenfeldes kennen, stehen 470 Häuserruinen. Die mühsam zum Jubiläum aufgebaute Infrastruktur (Straßen, Lichter, Mauern, Ampeln) ist beschädigt; die Gebäude der Sicherheits- und Ordnungskräfte liegen in Schutt und Asche. Im Frühjahr 2002 war die Geburtskirche und die angrenzenden Klöster der Franziskaner, Armenier und Griechisch-Orthodoxen 40 Tage lang von israelischen Panzern, Soldaten und Scharfschützen belagert. 75 Tote hat Betlehem seit Beginn der Intifada im Herbst 2000 zu beklagen, davon allein 47 in diesem Jahr. Das wirtschaftliche Leben liegt darnieder. 80 Prozent der berufstätigen Bevölkerung Bethlehems sind arbeitslos.
Ein Teil der Bevölkerung arbeitete nämlich bisher außerhalb der Stadt, vor allem im nahen Jerusalem und in dessen Umgebung. Nun ist allen Bewohnern Bethlehems - mit ganz wenigen Ausnahmen - der Weg zur Arbeit nach Israel versperrt. Ein anderer Teil der Einwohner Bethlehems arbeitete in der Stadt selber und lebte fast ausschließlich vom Tourismus bzw. vom Pilgerstrom. Bethlehem hat 21 Hotels/Motels, 48 Andenkenläden mit einem bunten Angebot von Devotionalien, 15 Restaurants, 22 Reisebüros, 133 Kleinfabriken des Kunsthandwerks, die meisten davon sind Familienbetriebe, die aus Olivenholz Krippen und andere Andachtsgegenstände, aus Perlmutter Kreuze und Rosenkränze herstellten, andere fertigten Textilien.
Jeder Pilger wollte ja von Bethlehem ein Andenken mit nachhause bringen. Die Geschäfte gingen dank der vielen Pilger gut. Seit zwei Jahren ist der Pilgerstrom aber völlig versiegt. Alle Hotels und Pilgerherbergen stehen leer, in den Andenkenläden ruht das Geschäft, die vielen kleinen Fabriken und Familienbetriebe haben keine Arbeit. Die Menschen sind arbeitslos. So etwas wie eine Arbeitslosenversicherung gibt es natürlich nicht. Die Menschen müssen auf ihre Ersparnisse zurückgreifen; diese sind aber inzwischen in den meisten Fällen aufgebraucht.
Wenn sich die Situation nicht bald zum Besseren wandelt - aber dafür besteht wenig Hoffnung -, droht eine humanitäre Katastrophe. Es ist überhaupt fast wie ein Wunder, dass die Menschen überleben können. Was der Generalkommissar der UNO für palästinensische Flüchtlinge, Peter Hansen, am 26. September in Amman im Hinblick auf die Situation in ganz Palästina sagte, gilt auch für Bethlehem: Es ist verwunderlich, wie es den Bewohnern gelungen ist, Mechanismen zum Überleben dieser Krise zu finden. Jede andere Gesellschaft wäre in sich zusammengefallen oder explodiert. Der Bürgermeister von Betlehem, Hanna Nasser charakterisierte jüngst die Situation Betlehems treffend: Es gleicht einem großen Gefängnis, das niemand verlassen, niemand betreten kann.
Wenn die Franziskaner auch bisher einigermaßen heil die schwere Zeit und selbst die 40-tägige Belagerung der Geburtskirche und ihres Klosters überstanden haben, sind sie dennoch von den Vorgängen arg mitbetroffen. Die Schäden an Kloster und Kirche sind bisher gering gewesen und können wieder behoben werden. Nur der Pfarrsaal ist infolge israelischen Beschusses ausgebrannt und etwa 2.000 neue Orgelpfeifen, die dort gerade gelagert waren und auf den Einbau in die neue Orgel in der Katharinenkirche warteten, sind alle mitverbrannt. Als Kriegsfolge ist keine Entschädigung zu erwarten.
Natürlich steht auch die neue Pilgerherberge der Franziskaner, die «Casa Nova» in der unmittelbaren Nähe der Geburtskirche, bereits seit mehr als zwei Jahren leer. Aber die Kustodie der Franziskaner hat sich entschlossen, keinen der einheimischen arabischen Angestellten zu entlassen, sondern sie, auch wenn es an Arbeit für sie fehlt, weiter zu entlohnen, damit sie und ihre Familien überleben können. Das bedeutet für die Kustodie natürlich beträchtliche finanzielle Opfer.
Was die Bewohner Bethlehems sehr empört, ist die israelische «Expansion», die immer noch weitergeht. Israel hat, obwohl es palästinensisches Gebiet ist, in unmittelbarer Nähe von Bethlehem mit dem Bau neuer Straßen begonnen, die sichere Verbindungswege zu den jüdischen Siedlungen auf palästinensischem Gebiet garantieren sollen: Eine Straße führt von Har Homa nach Bethlehem bzw. Beit Sahour, eine andere von Gilo nach Aida-Bethlehem. Dafür wurden etwa 700 Hektar Land konfisziert, die bethlehemitischen Eigentümern bzw. der armenischen Kirche gehören. Die Straßen sind mit tiefen Gräben und mit Stacheldraht zu beiden Seiten versehen. Durch diesen Straßenbau und durch zur «Sicherheitszone» erklärte Grundstücke ist Bethlehem von seinem nördlichen Umland mit seinem Ackerland und möglichem Baugrund für die weitere Ausdehnung der Stadt abgeschnitten. Der Bauboom, der in der Zeit der Vorbereitung auf das Jahr 2000 herrschte, ist völlig zum Erliegen gekommen. Viele Häuser stehen halbfertig im Rohbau in der Gegend und gleichen toten Häuserleichen. Sie können wohl in absehbarer Zeit nicht mehr oder überhaupt nie mehr fertig gestellt werden.
Die hoffnungslose Situation hat zur Folge, dass jeder, dem sich eine Möglichkeit dazu bietet, auszuwandern versucht. Viele sehen für ihre Familie und ihre Kinder keine Zukunft mehr im Heiligen Land. In den letzten zwei Jahren sind in Bethlehem 100 Einheimische ausgewandert, in Beit Jala 40 und im Beit Sahour sogar 272. Zwar nicht ausschließlich, aber doch in der Mehrzahl sind es christliche Araber, die diesen Weg wählen. Oft haben sie bereits Verwandte oder Bekannte irgendwo in Nord- oder Südamerika, in Europa oder Australien, zu denen sie nachziehen können. Bethlehem, einst eine Stadt mit einer Mehrheit arabischer Christen, droht so langsam, eine muslimische Stadt zu werden. Hier versuchen die Franziskaner nun einzusetzen und zu helfen. Sie haben in dieser Notsituation beschlossen, auf zwei ihrer Grundstücke im Bereich von Bethlehem zwei Wohnblöcke zu bauen, um Familien, die Haus und Wohnung verloren haben, Unterkunft und Bleibe zu bieten. 36 Wohneinheiten sind geplant. Das schafft zugleich auch ein wenig Arbeit angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in Bethlehem.
Kathpress
23. desember 2002