4\Von der dramatischen Beurteilung des Ersten Weltkriegs durch Benedikt XV. («unnützes Blutbad») bis zur Zurückweisung des Irak-Kriegs durch Johannes Paul II. («Niederlage der gesamten Menschheit») zieht sich eine Linie4\ «Kathpress»-Analyse von Christoph Arens
Vatikanstadt, 19.3.03 (KAP) Wie kaum ein zweiter hat sich Papst Johannes Paul II. gegen den drohenden Irak-Krieg gestemmt. Wie kaum ein zweiter hat er seine moralische Autorität in die Waagschale geworfen, Krieg als «Niederlage der gesamten Menschheit» bezeichnet - und wohl verloren. Doch dieses Schicksal teilt er mit den meisten seiner Vorgänger seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Denn von Pius X. bis zu Paul VI. wandten sich alle Päpste der neueren Zeit gegen den Krieg - und konnten doch weder den Ersten noch den Zweiten Weltkrieg noch den Vietnam-Krieg verhindern.
«Es geht schlecht, es kommt der große Krieg»: Mit großer Hellsicht sah Papst Piux X. (1903-1914) den aufziehenden Ersten Weltkrieg voraus. Schon im Mai 1913 vertraute er dem brasilianischen Gesandten beim Heiligen Stuhl an: «Der Balkan ist nur der Anfang eines großen Weltenbrandes, den ich nicht hintanhalten noch ihm Widerstand leisten kann». Am 2. August 1914 reagierte ein erschütterte Papst mit einem Aufruf an die Katholiken in aller Welt auf den Ausbruch des Krieges: Durch öffentliche Gebete sollten sie erreichen, dass Gott so bald wie möglich die Fackeln des Krieges entferne und den Leitern der Völker Gedanken des Friedens eingebe.
Sein Nachfolger Benedikt XV. (1914-1922) beurteilte den Ersten Weltkrieg als Selbstmord der europäischen Nationen. Sein Pontifikat war bestimmt von immer neuen pazifistischen Appellen und Geheimmissionen. Seine erste Enzyklika vom 1. November 1914 beklagte, dass die großen Kulturvölker mit den schrecklichsten Mitteln moderner Technik darum kämpften, ihre Gegner auf ausgesuchteste, grausamste Weise niederzuringen. Die völlig durchgedrehten Politiker und Intellektuellen heulten auf, als Benedikt XV. 1917 die Dinge beim Namen nannte und den Krieg als «inutile strage», als «unnützes Blutbad» bezeichnete.
Ungehört verhallte auch der Friedensaufruf Pius XII. (1939-1958) am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Unvergessen sind die Papstworte: «Nichts ist verloren mit dem Frieden, alles kann verloren sein mit dem Krieg». Am Tag vor Hitlers Angriff auf Polen - am 31. August 1939 - erwog der Papst, für einen letzten Vermittlungsversuch nach Berlin und Warschau zu fliegen. Er ließ den Plan fallen - und richtete stattdessen eine Note an die Vertreter Deutschlands, Italiens, Frankreichs, Englands und Polens: «Der Heilige Vater will die Hoffnung nicht aufgeben, dass die noch schwebenden Verhandlungen eine gerechte, friedliche Lösung, um welche die ganze Welt betet, bringen mögen...»
Mehr Erfolg war Pius' Nachfolger Johannes XXIII. (1962-1965) beschieden, als die Kubakrise die Welt an den Rand des atomaren Infernos brachte. Am 26. Oktober 1962, auf dem Höhepunkt der Spannungen, appellierte er an die Führer der Weltmächte und wies darauf hin, dass die Geschichte diejenigen preisen werde, die das Schicksal der Menschen über ihre nationalen Interessen stellten. Zustatten kam dem Papst, dass der damalige US-Präsident John F. Kennedy Katholik war und dass der Papst beim KPdSU-Generalsekretär Nikita Chruschtschow hohes Ansehen genoss. Am 28. Oktober kündigte Chruschtschow an, dass die Raketen nicht nach Kuba verlegt würden. Hinter den Kulissen hatte der Papst seine persönliche Diplomatie entfaltet.
Johannes XXIII. reagierte auf die Kuba-Krise mit der am 11. April 1963 veröffentlichten Friedensenzyklika «Pacem in Terris», die die kirchliche Friedenslehre mit den Menschenrechten verband. Erstmals richtete der Papst sein Lehrschreiben nicht mehr nur an die Katholiken, sondern «an alle Menschen guten Willens». Er forderte die Einstellung der Atomversuche und des Wettrüstens, eine allgemeine Abrüstung sowie die Anerkennung der Gleichheit aller Menschen.
Papst Paul VI. (1963-1978) setzte dieses Friedens-Engagement durch mehrere Reisen und seine auf Entspannung gerichtete Ost-Politik fort. Sein dritter Auslandsbesuch führte ihn am 5. Oktober 1965 zum Sitz der Vereinten Nationen in New York, wo er ausdrücklich den Frieden für Vietnam forderte und ein leidenschaftliches «Nie wieder Krieg» formulierte. Ein Jahr später beschwor der Papst in einer Enzyklika: «Im Namen Gottes rufen wir: Haltet ein. Jetzt muss Friede werden, auch unter Nachteilen und Unannehmlichkeiten». Paul VI. verurteilte den Bombenkrieg als unchristlich und unmenschlich; eine Ächtung der Atombombe formulierte er allerdings nicht ausdrücklich.
Papst Johannes Paul II. ist nach Einschätzung von Beobachtern in seiner 1978 begonnenen Amtszeit immer pazifistischer geworden. Nach einem Besuch Hiroshimas 1981 kam er zu dem Schluss, dass es am Ende des 20. Jahrhunderts keinen gerechten Krieg mehr geben könne. Den Golfkrieg von 1991 verurteilte der Vatikan zwar ebenso wenig wie den Nato-Einsatz gegen Serbien 1999 - immerhin handelte es sich in beiden Fällen um Kriege gegen «Aggressoren». Dennoch mahnte der Papst immer wieder: «Der Krieg ist ein Abenteuer ohne Rückkehr und kein Mittel zur Lösung politischer Probleme». Sein Mitleid gelte der Zivilbevölkerung.
Kathpress
19. mars 2003