Erstmals seit 1923 konnte in Kappadokien wieder des Neomärtyrers Ioannes Rossos gedacht werden - Drei Patriarchen plädierten für Frieden in Nahost durch Aussöhnung von Christen und Muslimen - Hoffnung auf Wiedereröffnung der Theologischen Hochschule in Chalki
Istanbul, 3.6.03 (KAP) Als Zeichen für eine offenere Haltung der türkischen Regierung in Sachen Religionsfreiheit wird die Tatsache gewertet, dass erstmals seit 1923 der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel im kappadokischen Ürgüp (griechisch: Prokopi) eine feierliche Messe zum Fest des Neomärtyrers Ioannes Rossos zelebrieren konnte. Mit Bartholomaios I. von Konstantinopel feierten die Patriarchen Petros VII. von Alexandrien und Elias II. von Georgien sowie Vertreter der serbischen und rumänischen Orthodoxie. Zahlreiche Pilger aus Griechenland, Georgien und Russland nahmen teil. Die drei Patriarchen setzten sich für eine gerechte Friedensordnung im Gesamtraum zwischen Kaukasus, Persischem Golf und Heiligem Land durch Aussöhnung von Christen und Muslimen ein. Gleichzeitig unterstrichen sie auch das Recht der Christen auf freie Religionsausübung und -verkündigung in heute islamisch geprägten Staaten.
Bartholomaios I. sprach von «erfreulichen Entwicklungen» im Hinblick auf die Religionsfreiheit in der Türkei. Schon diese erneuerte christliche Präsenz in Kappadokien habe das gezeigt. Dazu bereite Ankara endlich ein neues Religionsgesetz vor, das erstmals seit 80 Jahren den Neubau christlicher Kirchen gestattet. Auch für eine baldige Wiedereröffnung der schon vor 30 Jahre geschlossenen Theologischen Hochschule von Chalki bei Istanbul bestünden nun «gute Aussichten». Der Ökumenische Patriarch sprach wörtlich von «ganz wunderbaren Ansätzen».
Das zentralanatolische Kappadokien mit seinen berühmten Felsenkirchen ist die Heimat großer Heiliger, angefangen von den drei «kappadokischen Vätern»: Basilios dem Großen, Gregor von Nyssa, Gregor von Nazianz. Der Neomärtyrer Ioannes Rossos war ein ins kappadokische Ürgüp verschleppter russischer Kriegsgefangener. Als er nicht zum Islam übertreten wollte, wurde er am 27. Mai 1730 hingerichtet und seither von der orthodoxen Bevölkerung Kappadokiens besonders verehrt. Obwohl viele Orthodoxe in Kappadokien türkischsprachig waren, mussten auch sie 1923 beim erzwungenen Bevölkerungsaustausch das Land verlassen, ihre Häuser wurden von vertriebenen Muslimen aus Kreta und Nordgriechenland übernommen. Allerdings rissen zum Unterschied von anderen kleinasiatischen Regionen in Kappadokien die Kontakt zwischen «alten» und «neuen» Bewohnern nie ganz ab. Heuer konnte aber erstmals wieder in Sinasos, Avanos und Prokopi in verlassenen Kirchen oder unter freiem Himmel mit Gottesdiensten des Neomärtyrers gedacht werden.
Erstmals wieder Zyprioten in Istanbul
Völlig überraschend wurde von den türkischen Behörden auch das seit fast 50 Jahren (1955) geltende Einreiseverbot für griechische Zyprioten aufgehoben. In der Folge kam es zu einer großen zypriotischen Pilgerfahrt nach Istanbul, um wieder an der feierlichen Liturgie mit Bartholomaios I. in der Patriarchalkathedrale Hagios Georgios teilnehmen zu können.
Erinnerung an Shoah in Thessaloniki
Das 5. Akademische Treffen zwischen Judentum und Orthodoxie Ende Mai im griechischen Thessaloniki hatte Patriarch Bartholomaios zum Anlass genommen, um an die Ermordung von mehreren Zehntausend Juden aus Thessaloniki durch die Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkriegs zu erinnern. Noch heute erfasse ihn «endlose Trauer», wenn er an das Schicksal dieser Menschen denke. «Wir müssen unseren Kindern und unseren Mitmenschen erklären, dass solche Verbrechen sich nicht mehr wiederholen dürfen, denn sie waren die Folge von Hass und Vorurteilen», sagte der Patriarch. Das Holocaust-Mahnmal im jüdischen Friedhof von Thessaloniki erinnere stets an die Pflicht, eine Welt zu schaffen, in der Menschen friedlich zusammenleben.
Weiter meinte Bartholomaios, Fanatiker seien nicht die Elite einer Religionsgemeinschaft, sondern viel eher «die schwächsten unter ihren Gläubigen». Dialog und Partnerschaften zwischen den Religionsgemeinschaften seien das Mittel, um einer gegenseitigen Herabwürdigung von Gläubigen entgegen zu wirken. Es gehe im Dialog nicht darum, den eigenen Glauben in Frage zu stellen sondern den «anderen» besser kennen und verstehen zu lernen. Der Patriarch erinnerte an den großen mittelalterlichen Bischof von Saloniki, Gregorios Palamas, der mit Muslimen und Juden Glaubensgespräche geführt hatte.
Theassaloniki war bis zum Anschluss an Griechenland 1913 und vollends bis zu seinem Holocaust von 1943/44 ein «Jerusalem des Balkans» mit 60 Prozent jüdischen Einwohnern. Die meisten von ihnen fanden in den Konzentrationslagern den Tod.
Das Verhältnis der Orthodoxie zum Judentum war im griechischen Raum nicht immer feindselig gewesen. Konvertierte Juden gelangten sogar auf den Patriarchenthron von Konstantinopel, so um 1300 Philotheos Kokkinos (der Rote), auf den die bis heute gültige Fassung der orthodoxen Liturgie zurückgeht. Erst unter osmanischer Herrschaft und nach Einwanderung der sefardischen Juden aus Spanien kam es zur Rivalität zwischen griechisch-orthodoxer und jüdischer Minderheit: Als im April 1821 Patriarch Gregorios V. beim Griechenaufstand als Hochverräter gehenkt wurde, übergaben die Türken seinen Leichnam dem jüdischen Proletariat des Stambuler Armenviertels Balat zur Schändung.
Die fünfte jüdisch-orthodoxe Dialogrund war der Frage der gemeinsamen Verpflichtung zur Friede und Grechtigkeit gewidmet. Mehr als 60 Delegierte nahmen daran teil. Bei einem Festakt im Jüdischen Museum der Stadt wurden Patriarch Bartholomaios, Andrew Athens, Präsident des Weltrates der Griechen, und Rabbi Israel Singer, Vorsitzender des Jüdischen Weltkongresses, zu Ehrenmitgliedern der jüdischen Gemeinde von Thessaloniki ernannt. Dabei forderte Bartholomaios, dass in allen Ländern «Gerechtigkeit und Gleichheit für alle Minderheiten» gewährt werden müsse.
Im Abschlusskommunique zu den Beratungen forderten beiden Seiten die Einrichtung eines jährlichen «Tages der jüdisch-christlichen Beziehungen». Sie begrüßten die jüngsten Anstrengungen für einen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern und forderten die sofortige Anerkennung des griechisch-orthodoxen Patriarchen von Jerusalem, Irinaios, durch die israelische Regierung (die Anerkennung ist seit fast zwei Jahren ausständig).
Kathpress
3. juni 2003