Kardinal Laghi: USA müssen innehalten und Respekt vor dem Menschen wieder herstellen
Vatikanstadt-Rom, 13.5.04 (KAP) Die Welt befindet sich nach dem Skandal um folternde US-Soldaten und der demonstrativen Enthauptung einer US-Geisel im Irak «am Rand eines Abgrunds». Diese Einschätzung äußerte der Kurienkardinal und Vatikandiplomat Pio Laghi in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit der italienischen Tageszeitung «Corriere della Sera». Laghi, der von 1980 bis 1990 Apostolischer Nuntius in Washington war, sagte wörtlich: «Wenn wir das jetzt nicht stoppen, wird der Strudel des Horrors weitere Völker erfassen und uns immer weiter nach unten ziehen».
An die Adresse der USA sagte Laghi, Amerika müsse jetzt innehalten und den Respekt vor dem Menschen wieder herstellen. Es müsse in die Familie der Nationen zurückkehren und die Versuchung überwinden, alles alleine tun zu wollen. Er glaube, dass Amerika die Kraft dazu habe und dass die Misshandlungen nur das Werk einiger verrückt Gewordener seien.
Bush bat zwei mal um Besuch beim Papst
Laghi, der im vergangenen Jahr von Johannes Paul II. im Vorfeld des Irakkriegs als Sondergesandter nach Washington geschickt wurde, um den Krieg in letzter Minute abzuwenden, äußerte sich auch über das für den 4. Juni geplante Treffen zwischen dem Papst und Präsident George W. Bush. Er enthüllte, dass Bush sehr auf das Treffen gedrängt habe. Der US-Präsident habe seines Wissens zwei mal angefragt und seinen eigenen Besuchsplan umgeworfen, um die Begegnung zu ermöglichen, erklärte Laghi. Er glaube nicht, dass Bush die Papstaudienz politisch instrumentalisieren wolle, für den Präsidenten sei dies einer der schwierigsten Momente für einen Besuch im Vatikan.
Zu den möglichen Gesprächsinhalten meinte der Kardinal, der Papst werde gegenüber Bush die Mahnungen wiederholen, die er ihm bereits vor Kriegsausbruch mitgeteilt habe. Bush habe damals nicht darauf hören wollen, nun sehe man aber, wie weise er gewesen wäre, wenn er dies getan hätte. Darüber hinaus werde der Papst Bush zum Einsatz für eine multilaterale Weltordnung auffordern und ihn daran erinnern, dass der Kampf gegen den Terrorismus nicht mit Repression und Strafe allein gewonnen werden könne.
Lajolo: Schlimmerer Schlag als 11. September
Bereits am Vortag hatte die italienische Tageszeitung «La Repubblica» ein Gespräch mit dem vatikanischen «Außenminister», Erzbischof Giovanni Lajolo, veröffentlicht. Lajolo betonte, der Folterskandal sei für die USA ein schlimmerer Schlag als der 11. September 2001. Das Besondere sei, dass sie ihn selbst zu verantworten hätten. Lajolo bezeichnete die Folterungen als «tragisch» für die Beziehungen der westlichen Welt zum Islam. Für den Irak forderte der vatikanische «Außenminister» eine rasche Übergabe der Regierung an einen Iraker und eine Form der Demokratie, die vom Volk akzeptiert werde.
Kathpress
13. mai 2004