Johannes Paul II. wird in der Schweiz mit einer besonderen Kirchensituation konfrontiert
«Kathpress»-Korrespondentenbericht von Johannes Schidelko und Alexander Reiser
Vatikanstadt-Bern, 3.6.04 (KAP) Nach fast einjähriger Pause startet Papst Johannes Paul II. am Samstag, 5. Juni, wieder zu einer Auslandsreise. Für zwei Tage besucht er die Schweiz, um am Nationalen Katholischen Jugendtreffen in Bern teilzunehmen; das stark französischsprachig geprägte Treffen orientiert sich am bewährten Vorbild der katholischen Weltjugendtage. Neben einer großen Begegnung mit den jungen Katholiken sind Treffen mit dem Präsidenten, mit den Bischöfen des Landes und auch mit ehemaligen Schweizergardisten vorgesehen. Das bevorstehende 500-Jahr-Jubiläum der Schweizergarde wurde als eines der Motive für die Reise ins Treffen geführt.
Bei seiner 103. Auslandsreise betritt der Papst ein kirchlich komplexes Terrain. Er kommt in eine Ortskirche mit einem ausgeprägten Demokratie-Bewusstsein und einer vielschichtigen Religiosität, in der die Ökumene eine besondere Rolle spielt, in der jedoch Kirchenbindung und religiöse Praxis ähnlich wie in anderen westlichen Staaten zurückgehen. Zudem gibt es in der Schweiz Gegebenheiten, die in eklatantem Gegensatz zum römisch-katholischen Kirchenrecht stehen: Auf Grund der historischen Tradition, insbesondere aber durch die bürgerlich-liberale Dominanz im 19. Jahrhundert entwickelte sich eine staatskirchenrechtliche Situation, in der die kirchliche Hierarchie mit Bischöfen und Papst relativ wenig Einflussmöglichkeiten hat.
Neben der Schweizer Bischofskonferenz besteht der Verband der «Römisch-Katholischen Zentralkonferenz», in dem die öffentlich-rechtlichen kantonalen kirchlichen Körperschaften zusammengeschlossen sind, die Kirchensteuern erheben und auch bei der Auswahl von Pfarrern ein entscheidendes Wort haben (wobei es einige Kantone wie Genf gibt, in denen die katholische Kirche offiziell nicht existent ist). Der finanzielle Einfluss der Bischöfe ist beschränkt. Dazu kommt, dass in der Schweiz - wie in anderen westlichen Ländern auch -«Reformforderungen» wie Interkommunion, Abschied vom Pflichtzölibat und Frauenpriesterweihe innerkirchlich auf hohe Zustimmung stoßen - wenngleich es auch Strömungen gibt, die entschlossen gegen dergleichen Stellung beziehen.
Schon die erste Pastoralreise, die ursprünglich für Pfingsten 1981 geplant war, wegen des Attentats aber auf Juni 1984 verschoben werden musste, erwies sich als nicht einfach. Es war eine ungewöhnliche Reise, «eine andere Reise», wie damals der «Osservatore Romano» resümierte. Neben gemäßigtem Applaus und teilweise niedrigen Besucherzahlen wurde der Papst mehrfach mit offenen und kritischen Anfragen zu den Reformthemen konfrontiert, ging aber im Reiseverlauf nicht auf sie ein. In seinem Reiserückblick sprach Johannes Paul II. freilich von einer «herzlichen Atmosphäre». Und er sprach von «Sinn für Realismus und zugleich von aufrichtiger Sorge um die Sendung des Evangeliums angesichts einer Gesellschaft, die dem Einfluss der Säkularisierung unterliegt».
Dieser Trend der Säkularisierung hat sich in den vergangenen 20 Jahren fortgesetzt. Die Auseinandersetzung um den früheren Bischof von Chur, Wolfgang Haas, haben Spannungen innerhalb der Kirche ausgelöst, die auch ein Spitzendiplomat wie der frühere Nuntius in Bern, Erzbischof Karl-Josef Rauber, nur mit Mühe und unter großen - auch persönlichen - Opfern überwinden konnte. Die Probleme sind mit der Weg-Berufung von Haas zum Erzbischof für Liechtenstein nicht ausgeräumt. Eine «repräsentative Umfrage der Herbert-Haag-Stiftung für Freiheit in der Kirche» zeigte kürzlich sehr breite Zustimmung für Reformanliegen, die die Kirchenleitung ablehnt. In einem Offenen Brief forderten zudem 41 Kirchenleute den Amtsverzicht des Papstes. Damit war freilich für viele Schweizer die Toleranzschwelle trotz Demokratie und freier Meinungsäußerung überschritten. «Ich finde den gewählten Zeitpunkt, um solche Äußerungen zu machen, nicht für ideal gewählt und nicht vereinbar mit dem, was man mit Gastfreundschaft bezeichnen kann», sagte der Schweizer Bundespräsident Joseph Deiss jetzt im Gespräch mit Radio Vatikan.
Konservative und liberale Jugendliche hätten gemeinsam den Papst eingeladen und freuten sich auf seinen Besuch, betont man in Bern wie in Rom. Und zur Messe am Sonntag werden in erster Linie die praktizierenden Katholiken kommen, die den Papst sehen und erleben wollen. Im übrigen hat die Schweiz auch noch ein Präsent für den Papst parat. Im Zuge der Visite will die Schweiz ihre diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl aufwerten und bald einen eigenen Vatikan-Botschafter entsenden. Bislang war die «Confederation» - seit 1991 - ja nur durch einen «Botschafter in Sondermission» am Vatikan vertreten.
44 Prozent Katholiken
Joseph Deiss wird den Papst am Samstag am sorgfältig abgeschirmten Militärflughafen von Payerne begrüßen. Es handelt sich um die 103. Auslandsreise von Johannes Paul II. Sie gilt als Indiz für eine gefestigte Gesundheit des 84-jährigen Papstes.
In der Schweiz sind 44 Prozent der 7,3 Millionen Einwohner katholisch getauft, 35 Prozent gehören protestantischen Kirchen an, rund elf Prozent bezeichnen sich als keiner bestimmten Kirche oder Religionsgemeinschaft zugehörig. Charakteristisch für die Schweiz ist der hohe Anteil der aus dem Ausland stammenden Katholiken. Als Unikat in der Weltkirche ist die katholische Kirche in der Schweiz nach einer Doppelstruktur organisiert: einerseits kirchenrechtlich nach dem hierarchischen Prinzip der Bischöfe und Priester und andererseits staatskirchenrechtlich nach demokratischen Prinzipien. Die Diözesen Basel, Chur und St. Gallen besitzen als weltweiter Sonderfall ein Mitspracherecht der politischen Behörden bei der Bestellung des Diözesanbischofs und zum Teil auch bei Weihbischöfen.
Die katholische Kirche ist in der Schweiz neben der evangelisch-reformierten Kirche und der christkatholischen (altkatholischen) Kirche eine der drei öffentlich-rechtlich anerkannten Landeskirchen. Das berechtigt sie in den meisten - aber nicht in allen - der 26 Kantone, Kirchensteuern zu erheben. Die Katholiken sind in den Kantonen jeweils in staatskirchenrechtlichen Körperschaften organisiert. Diese sind unter anderem für die Verwaltung der Kirchensteuern zuständig.
Die Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) ist der Verband, in dem die öffentlich-rechtlichen kantonalen Körperschaften und verwandten kantonalen Organisationen der katholischen Kirche in der Schweiz zusammengeschlossen sind. Im Einvernehmen mit der Schweizer Bischofskonferenz sorgt die RKZ gemeinsam mit dem Hilfswerk «Fastenopfer» für die Mitfinanzierung sprachregionaler und gesamtschweizerischer kirchlicher Institutionen und Dienstleistungen.
Kathpress
3. juni 2004