Bischof Sturm spricht von «Rückfall in vorkonziliare Zeit» - Reformierter Landessuperintendent Karner: Geist der Ökumene unterlaufen
Wien, 8.9.00 (KAP) Das Vatikan-Dokument «Dominus Iesus» hat bei den evangelischen Kirchen in Österreich Betroffenheit ausgelöst. «Betroffen und irritiert» äußerte sich der Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche, Herwig Sturm. Er wies darauf hin, dass die Fragen nach dem Wesen der Kirche Teil des Dialogs zwischen den Kirchen und keinesfalls abgeschlossen seien. Trotz aller Kritik gebe er den Gesprächen am gemeinsamen Tisch mehr Bedeutung als Einzelinterpretationen vatikanischer Dokumente. Erfreut zeigte sich der evangelische Bischof, dass der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, Kardinal Christoph Schönborn, die im Ökumenischen Rat vertretenen Kirchen sofort zu einem Gespräch über das Vatikan-Papier eingeladen hatte.
Der Alleinvertretungsanspruch, «zu sagen, wir sind die Mutter und ihr nicht einmal Schwestern», bedeute einen Rückfall in die vorkonziliare Zeit, so Sturm. Bei aller Betroffenheit könne aber das vatikanische Schreiben das «gute ökumenische Klima» in Österreich nicht zunichte machen, so der evangelische Bischof.
Ökumene-Politik Roms in schiefem Licht
Vor allem «Ärger und Empörung» habe der Ratzinger-Brief in der reformierten Kirche ausgelöst, meinte der reformierte Landessuperintendent Peter Karner. Ob gewollt oder ungewollt, werde damit die gesamte ökumenische Einstellung und Politik der römisch-katholischen Kirche desavouiert und gerate «in ein schiefes Licht». Karner sieht einen Zusammenhang mit der Seligsprechung Pius IX. und dessen Unfehlbarkeitsanspruch. Er habe große Hoffnung, dass die Mehrheit der römisch-katholischen Kirche in Österreich dieses Schreiben zurückweisen werde, sagte Karner. Denn: «Mit dieser Note wird der Geist der Ökumene unterlaufen». Auch Karner verwies auf das gute ökumenische Klima in Österreich und erklärte: «Vielleicht gelingt es, im gemeinsamen Ärger und in der gemeinsamen Betroffenheit derartige Einstellungen abzuwehren».
«Notbremse gezogen»?
«Nichts Neues, aber das mit alter Präpotenz»: Mit diesen Worten reagierte der Obmann des Evangelischen Bundes in Österreich, der niederösterreichische lutherische Superintendent Paul Weiland auf das Vatikan-Dokument «Dominus Iesus». Das Dokument zitiere gültige römisch-katholische Lehre. Weiland: «Insofern nichts Neues. Verblüffend ist nur, dass der ökumenische Dialog und die Begegnungen in den letzten 30 Jahren in der offiziellen römisch-katholischen Kirche ganz im Gegensatz zu vielen Christen in dieser Kirche auch in der Haltung so gut wie nichts bewegt zu haben scheinen». Da kein konkreter Anlassfall für Aussagen des Verhältnisses der christlichen Kirchen zueinander bestanden habe, vermutet der niederösterreichische Superintendent, «dass das zunehmend geschwisterliche und partnerschaftliche Leben der Christen untereinander mit dem Überstülpen verkrusteter Strukturen wieder gedämpft werden soll». Für die offizielle römische Kirche sei offensichtlich ein Punkt erreicht, «an dem die Notbremse gezogen werden muss».
Bewährte Denkmuster
Dabei bediene sich die Glaubenskongregation bewährter Denkmuster, erklärte Weiland. Ein weithin akzeptierter und bekannter Inhalt werde mit einer zweiten Aussage so verknüpft, dass die Wahrheit des ersten Teils auch auf den zweiten Teil abfärbe. So werde in dem Dokument zu Recht auf die «Einzigkeit und Universalität» von Jesus Christus hingewiesen. Aber dann: «Mit dem Kommen Jesu Christi, des Retters, hat Gott die Kirche für das Heil aller Menschen eingesetzt». Nach römisch-katholischem Selbstverständnis sei klar, wer mit der Kirche gemeint sei. Damit werde suggeriert, Jesus selbst habe die römisch-katholische Kirche eingesetzt, kritisierte Weiland.
Die Bibel sei, so der Obmann des Evangelischen Bundes, im übrigen voll von Zeugnissen, dass nicht die Einhaltung formaler Kriterien, sondern die inhaltliche Erfüllung und Gesinnung Maßstab für die Beurteilung rechter Lehre sei: «Insofern sehen sich die evangelischen Christen zu Recht ebenfalls in der apostolischen Sukzession».
Es sei, betonte Weiland, der römisch-katholischen Kirche unbenommen, sich und ihr Selbstverständnis zu definieren, aber: «Andere zu beurteilen und abzuqualifizieren steht ihr nicht zu». Weder der Papst noch die Glaubenskongregation könne feststellen, welche Kirche wahre Kirche sei. Das stehe allein Christus zu.
Kathpress