Geistesgestörte Frau ermordete den Gründer und Prior der ökumenischen Gemeinschaft von Taize während des Abendgebets
Die Christenheit trauert um Frere Roger, den Gründer und Prior der ökumenischen Gemeinschaft von Taize. Der 90-jährige Ordensgründer war am Dienstagabend beim Abendgebet in der Kirche des Priorats von Taize von einer Frau niedergestochen worden. Trotz sofortiger Erster Hilfe starb Frere Roger wenig später. Die Täterin, eine aus Rumänien stammende, offensichtlich geistesgestörte 36-jährige, wurde überwältigt und verhaftet. Sie hatte dem greisen Mönch drei Messerstiche in den Rücken versetzt.
Augenzeugen hörten gegen 21 Uhr einen gellenden Frauenschrei in der voll besetzten Kirche, in der sich rund 3.000 Gläubige versammelt hatten. Offenbar hatte sich die Täterin dem Prior von hinten genähert. Während einige Brüder Frere Roger aus der Kirche trugen, ging die Andacht weiter. 20 Minuten später gab dann ein Bruder den Tod des Gründers der Gemeinschaft bekannt. In der Folge mussten viele Menschen von Ärzten behandelt werden, weil sie unter Schock standen. Gegen Mitternacht läuteten in Taize erneut die Glocken für ein spontanes Totengebet.
Frere Roger war mit seiner charismatischen Ausstrahlung eine der großen religiösen Persönlichkeiten der Gegenwart. Immer wieder rief er zur Versöhnung der getrennten Kirchen auf. Wie wenige andere hatte Frere Roger - der aus der reformierten Kirche in der Schweiz kam - sein Leben der Ökumene verschrieben. Dabei setzte er besonders auf die jungen Christen.
Der Gründer von Taize hätte zum Weltjugendtag (WJT) nach Köln kommen sollen. Die WJT-Verantwortlichen zeigten sich über den gewaltsamen Tod Frere Rogers tief bestürzt. WJT-Generalsekretär Heiner Koch erinnerte daran, dass Frere Roger mit Papst Johannes Paul II. tief verbunden gewesen sei. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, erklärte: "Ein Mann, der sein Leben der Botschaft Jesu von der Versöhnung aller Menschen und des Friedens besonders auch zwischen den Kirchen und Religionen widmete, hat ein Schicksal erlitten, das uns an das gewaltsame Geschick Jesu und anderer Zeugen für ein gewaltfreies Leben wie Martin Luther King und Dag Hammerskjöld erinnert".
In dieser tief tragischen Situation stellten sich die deutschen Bischöfe an die Seite der Gemeinschaft von Taize, mit der sie im Gebet verbunden seien, betonte der Kardinal. Beim Weltjugendtag werde in allen Gottesdiensten für den großen Freund und Pionier einer geistlichen Ökumene gebetet.
In der Kölner St. Agnes-Kirche, wo die Taize-Gemeinschaft beim Weltjugendtag ein Geistliches Zentrum eingerichtet hat, reagierten die Gläubigen mit großer Bestürzung. Die Nachricht wurde während einer Abendandacht verkündet. Hunderte Menschen versammelten sich zu Gesang und Gebet. Für den Verstorbenen wurde vor dem Altar symbolisch eine Gebetsbank aufgestellt. Die Kirche blieb die Nacht über geöffnet.
Zentrum in Burgund
Seit Beginn der vierziger Jahre hatte der reformierte Theologe Roger Schutz in Taize, einem kleinen südburgundischen Dorf in der Nähe von Cluny, ein neues Modell des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Konfession entwickelt. Jährlich pilgern dorthin seit Jahrzehnten Hunderttausende von jungen Leuten aus aller Welt. Später initiierte Frere Roger den "Pilgerweg des Vertrauens". Im Rahmen dieses Pilgerwegs kommen jeweils zum Jahreswechsel bis zu 150.000 junge Christen unterschiedlicher Konfession in einer europäischen Metropole zusammen.
Nach vierjährigem Theologiestudium in Lausanne und Straßburg hatte sich Roger Louis Schutz-Marsauche, so sein voller Name, 1940 in Taize niedergelassen; in den schwierigen Jahren der deutschen Besetzung Frankreichs half der Theologe ungezählten Verfolgten über die Demarkationslinie zwischen dem "besetzten" und dem "unbesetzten" Teil Frankreichs.
Obwohl die monastische Lebensform der reformierten Tradition fremd ist, wollte Roger Schutz - inspiriert auch vom Erbe von Cluny - eine klösterliche Gemeinschaft neuen Typs ins Leben rufen. 1949 legten die ersten sieben Brüder in Taize ihre Gelübde ab. Heute gehören gut 100 Brüder der Gemeinschaft an, mehr als ein Drittel von ihnen ist katholisch. Kommunitäten von Taize wirken mittlerweile auch in Elendsvierteln großer Städte des "Südens".
Für sein "Werk der Versöhnung" erhielt Frere Roger zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den "Templeton-Preis", der als eine Art "Nobelpreis der Religionen" gilt, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, den Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen (1989) und den UNESCO-Preis für Friedenserziehung.
Fast jedes Jahr wurde Frere Roger von Papst Johannes Paul II., den er bereits aus dessen Zeit als Erzbischof von Krakau kannte, in Privataudienz empfangen.
Meisner: Frere Roger war "Friedensstifter"
Der Kölner Erzbischof, Kardinal Joachim Meisner, zeigte sich am Mittwoch tief erschüttert über die Ermordung von Frere Roger. Er drückte der ökumenischen Brüdergemeinschaft seine Anteilnahme aus und versicherte, die in Köln beim Weltjugendtag versammelten Jugendlichen würden für den Ermordeten beten. Meisner bedauerte, dass der gewaltsame Tod einen Menschen getroffen habe, für den gelte: "Selig, die Frieden stiften". Der Kardinal trug sich am Mittwochnachmittag in der Kölner Agneskirche in ein Kondolenzbuch ein; dort haben die Taize-Brüder beim Weltjugendtag ihr Geistliches Zentrum.
"Ein großer Mann des Kirchengeschichte"
Der Präsident des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen, Kurienkardinal Walter Kasper, hat Frere Roger als "einen der großen Männer der Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts" gewürdigt. Frere Roger habe sich für Versöhnung und Freundschaft eingesetzt und Taize so zu einer wichtigen Brücke zwischen Kirchen, Völkern und Kulturen gemacht. Der Kardinal betonte, Frere Roger sei mehr ein Mann der geistig-geistlichen Ausstrahlung als ein Mann der Aktion gewesen.
Kasper nannte es schrecklich und tragisch, dass "ein Mensch der Nächstenliebe brutal niedergestochen wurde". Theologisch würdigte er, dass Frere Roger das Mönchtum in den protestantischen Kirchen wiederbelebt habe. Zudem habe er es verstanden, unendlich viele Jugendliche anzusprechen.
Frankreichs Bischöfe trauern
Frankreichs katholische Bischöfe trauern um Frere Roger. Man habe einen "großen Zeugen Gottes verloren", heißt es in einem Schreiben des Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Erzbischof Jean-Pierre Ricard von Bordeaux, vom Mittwochmorgen. Er empfinde tiefen Schmerz über die Ermordung des Priors, der sich leidenschaftlich für die Versöhnung und die Einheit der Christen eingesetzt habe.
Ricard nannte es unbegreiflich, dass ein so sanftmütiger Mensch durch Gewalt aus dem Leben geschieden sei. Zugleich sehe er es als Vermächtnis und Zeugnis zugleich, dass Frere Roger im gleichen Moment bei Gott eintreffe, in dem sich Hunderttausende Jugendliche in Köln zu einem Fest des Glaubens versammeln.
"Er gab Jugendlichen geistliche Heimat"
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, würdigte Frere Roger als einen "Menschen der Versöhnung und der Zuversicht aus dem Glauben". Er habe unzählige junge Menschen geprägt und ihnen geholfen, eine geistliche Heimat zu finden, erklärte der Berliner evangelische Bischof am Mittwoch in Hannover. Die von Frere Roger gegründete Gemeinschaft von Taize sei zu einer Quelle des ökumenischen Miteinanders geworden.
"Er hat Barrieren niedergerissen"
Die Kommission der Bischofskonferenzen des EU-Raumes (ComECE) hat Frere Roger als einen Brückenbauer für Europa gewürdigt. Sein unermüdliches Engagement für Versöhnung habe dazu beigetragen, Barrieren zwischen den Völkern niederzureißen, heißt es in einer ComECE-Erklärung vom Mittwoch. Die Visionen Frere Rogers hätten Herzen und Köpfe vieler Menschen in Europa bewegt, vor allem der Jugend.
Ab 1940 sei Frere Roger der Berufung gefolgt, die Völker auf dem europäischen Kontinent miteinander zu versöhnen; dieser Berufung sei durch den Mord ein jähes Ende bereitet worden. In Inhalt und Auswirkung sei die Arbeit Frere Rogers beispielhaft gewesen. In der ComECE-Erklärung wird u.a. an die Anstrengungen Frere Rogers erinnert, Deutschland und Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg zu versöhnen und die Annäherung zwischen West- und Osteuropa nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zu fördern.
KI/KAP (KathPress/Katolsk Informasjonstjeneste) (17. august 2005)